Das Umweltbundesamt führt bereits seit mehreren Jahren rasterelektronenmikroskopische Untersuchungen von Fichtennadelwachsen in verschiedenen Regionen Österreichs durch. Die sog. Epicuticularwachse überziehen die gesamte Nadel und bilden somit die ersten Angriffsflächen der Blattorgane für Umwelteinflüsse. Besonders im Bereich der Spaltöffnungen, den Atmungsorganen der Nadel, ist ein dichtes Geflecht aus Wachsröhrchen ausgebildet, welches wie ein Filter wirkt und die Funktion der Spaltöffnungen, wie beispielsweise Regulation des Gasaustausches bei der Photosynthese und Atmung oder Schutz vor übermäßiger Verdunstung unterstützt. Umwelteinflüsse, vor allem Luftschadstoffe, können die Epicuticularwachse beeinträchtigen. Immissionseinflüsse können nach Art der Wachsveränderungen von witterungsbedingten Veränderungen der Wachsmikrostruktur unterschieden werden. 1995 wurde vom Umweltbundesamt in Zusammenarbeit mit dem Institut für Waldwachstumsforschung der Universität für Bodenkultur ein standardisiertes Beurteilungsverfahren zur quantitativen Erfassung von Nadelwachsveränderungen für einjährige Fichtennadeln an Nadelmaterial unbelasteter Hintergrundstandorte entwickelt. Durch die Bewertung der Wachsstrukturen einer definierten Anzahl von Spaltöffnungen resultiert ein Zahlenwert zwischen 1,0 (unbeeinträchtigt) und 5,0 (stark beeinträchtigt), der als Wachsqualität bezeichnet wird. Dieser baumphysiologische Parameter charakterisiert den Erhaltungszustand der Nadelwachse. Als weiteren Schritt galt es nun, die Eignung des Beurteilungsverfahrens zur Charakerisierung emittentennaher Standorte zu testen. Dafür wurden solche Standorte ausgewählt, an denen Emissionen zu erwarten sind, die nachweislich, wie durch zahlreiche Untersuchungen belegt, die Wachsqualität nachteilig beeinflussen. Zu den insgesamt 14 emittentennahen Standorten, die im Rahmen dieser Projektstudie untersucht wurden, zählten die industriell beeinflußten Standorte Arnoldstein, Breitenau, Brixlegg, Brückl, Leoben, Radenthein, Reutte, Treibach und Wietersdorf. Die städtischen Ballungsräume Graz, Innsbruck und Linz sowie je ein Höhenprofil an der A10-Tauernautobahn bei Zederhaus und an der A12-Inntalautobahn bei Rattenberg (Profil Radfeld) waren ebenfalls Bestandteil des vorliegenden Untersuchungsprogramms. Um Vergleichsdaten zu diesen emittentennahen Standorten zu erhalten, wurde auch Nadelmaterial von durch lokale Schadstoffquellen unbeeinflußten Hintergrundstandorten analysiert. Dabei handelte es sich um dieselben Standorte, deren Fichtennadeln für die Methodenentwicklung verwendet wurden. Die im folgenden angeführten Ergebnisse der Studie beziehen sich auf einjährige Fichtennadeln des Jahres 1995. Des weiteren wurden an den genannten Standorten auch die Nähr- und Schadstoffkonzentrationen der Fichtennadeln erhoben. Mit Hilfe einer umfangreichen statistischen Auswertung wurden die Zusammenhänge der verschiedenen Parameter überprüft. Zu diesem Zweck erfolgte eine Einteilung aller Standorte in die Kategorien "Hintergrund", "nahe Emittenten" und "sehr nahe Emittenten." Standorte mit der Bezeichnung "Hintergrund" sind durchwegs in sehr großer Distanz zu Ballungsräumen, öffentlichen Straßen und Betrieben. In der Gruppe "nahe Emittenten" sind jene Standorte der untersuchten Ballungsräume, öffentlichen Straßen und/oder Betrieben zusammengefaßt, wo aufgrund der Lage bereits geringerer Einfluß dieser Quellen vermutet wird. Standorte in der Gruppe "sehr nahe Emittenten" liegen im unmittelbaren Nah- und daher Einflußbereich der untersuchten Quellen. Die Ergebnisse verdeutlichen, daß das dargestellte Verfahren der rasterelektronenmikroskopischen Beurteilung der Wachsqualität von Fichtennadeln eine sehr sensible und geeignete Methode der Bioindikation darstellt.