Ziel dieser Arbeit war, einen Beitrag zur Kenntnis der Biologie des Damwildes zu leisten, seine Ansprüche an den Lebensraum zu klären sowie die Einflüsse der Umwelt einerseits und endogener Prozesse andererseits auf einige Lebensbereiche dieser Art zu untersuchen. Eigentümlichkeiten der Körperhaltung des Damwildes deuten darauf hin, daß ihm ein vielgestaltiger Lebensraum zukommt, der sich durch das Vorhandensein deckungsreicher und deckungsarmer Zonen auszeichnet. Die "biologische Rangfolge" der Fernsinnesorgane weist auf Gemeinsamkeiten mit Bewohnern aufgelockerter Biotope hin. Die Orientierung geschieht vorwiegend optisch. Eine Vielfalt optischer Ausdrucksstrukturen sowie verschiedene Stimmlaute erlauben Schlüsse auf die Stimmung einzelner Tiere und stehen im Dienst der innerartlichen Kommunikation. Damwild bildet nahezu während des ganzen Jahres Gruppen. Diese Gruppen sind weitgehend sozial offen. Weibchengruppe und Hirschgruppe zeigen eine unterschiedlich starke ausgeprägte Kohäsivität. Für 5 Monate des Jahres leben die Geschlechter getrennt. Zur Bildung gemischt-geschlechtlicher Verbänden führen die sexuelle Attraktion und das Sicherheitsbedürfnis der Männchen bei Aufenthalt im Gelände. In der Weibchengruppe ist die Mutterfamilie die Kerneinheit, in der Hirschgruppe das Einzeltier. Es besteht eine Abhängigkeit der verschiedenen Formen der Gruppenstruktur von Umweltbedingungen (Nahrungsangebot, Deckung) und den zyklischen physiologischen Vorgängen. Die Gruppenführung wird bei beiden Geschlechtern in der Regel von adulten Individuen wahrgenommen. In überraschenden Gefahrensituationen kann die Führungskompetenz von jedem beliebigen Tier einer Gruppe übernommen werden. Die auf etwa 60 Individuen geschätzte Population des Untersuchungsgebietes hielt sich ein Jahr in einem mindestens 730 Hektar großen Wohngebiet auf. Die Wohngebiete von Männchen und Weibchen können sich decken oder überlappen. Die Gruppe der Männchen besiedelte in Abhängigkeit von der zur Verfügung stehenden Waldfläche kleinere Wohngebiete als die Weibchen. Umwelteinflüsse, zyklische Vorgänge innerhalb der Population sowie die bei den Geschlechtern unterschiedlich ausgeprägten Formen des Feindvermeidens erweisen sich als maßgebende Faktoren für die jeweilige Größe der Wohngebiete. Die besiedelte Fläche ist groß in der Vegetationsperiode und klein in der deckungs- und nahrungsarmen Zeit. Damwild scheint in seinen ökologischen Ansprüchen eine wenig spezialisierte Art zu repräsentieren. In der Bevorzugung der Standorte nach ihrem Deckungswert unterscheiden sich die Geschlechter deutlich. Männchen bevorzugen die deckungsreichen Zonen. Weibchen sind beweglicher und wachsamer als die Männchen. In der Standortwahl verfügen sie über eine größere Flexibilität. Sie halten sich häufiger im offenen Gelände auf.