Systematische Revision und chorologische Analyse der Monocotyledoneae des Karakorum (Zentralasien, West-Tibet) : Flora Karakorumensis I. Angiospermae, Monocotyledoneae
Im Rahmen einer kritischen Revision der Monocotyledoneae werden 282 Arten aus 17 Familien fuer den Karakorum sicher belegt bzw. als wahrscheinlich vorkommend angegeben. Vier neue Arten werden beschrieben und sieben neue Kombinationen werden angefuehrt. Chorologische und oekologische Daten werden fuer die im Karakorum vorkommenden Taxa zusammengestellt. Soweit derzeit moeglich, wurden neue oder revidierte Bestimmungsschluessel fuer einige Gattungen erstellt. Die Flora des Karakorum ist artenarm, aber von ausgesprochenem Uebergangscharakter und durch taxonomisch komplexe und weit verbreitete Gruppen gepraegt. Nah verwandte oder vikariierende Arten angrenzender Gebirgssysteme erfahren daher in der vorliegenden Arbeit eine orientierende Beruecksichtigung. Das Karakorum-System verbindet die Hochgebirgsplateaus von Ost-Pamir und West-Tibet und wird im Norden durch die Hochgebirgskette des Kunlun Shan, im Sueden durch die Ketten des Himalaya und Hindukush begrenzt. Das gewaltige Gebirgsmassiv des Karakorum, gipfelnd im K2 (8611m), dem zweithoechsten Berg der Erde, bildet einen zentralkontinentalen Schnittpunkt der Eurasiatischen Flora. Der Karakorum bildet eine ausserordentlich scharfe Grenze zwischen der Holarktis und subtropischen Regionen sowie Barrieren zwischen den Zentralasiatischen, Irano-Turanischen und Sino-Himalayischen Florenregionen mit grundlegend unterschiedlichen klimatischen Bedingungen. Andererseits stellen die Raender der grossflaechig vergletscherten Gebirgsketten des Karakorum einen bedeutenden Wanderweg und Filter dar, der die Suedost-Tibetanischen Diversitaetszentren zahlreicher "arktisch-alpiner" Florenelemente mit Hochgebirgen und hohen Breitengraden der Holarktis verbindet. Generell dominieren im kalt-ariden Karakorum Zentralasiatische Elemente. Flora und Vegetation sind jedoch altitudinal und peripher-zentral stark gegliedert. Auffallend ist eine extreme Verarmung des Floreninventars von Suedwesten nach Nordosten, bei einem starken Anstieg des altitudinalen Vorkommensbereiches einzelner Sippen und Vegetationsformationen. Die artenreiche Sino-Himalayische Flora fehlt noerdlich der Himalaya-Hauptkette weitgehend, eine relativ reiche (Inner-) Westhimalayische Flora ist jedoch durch die Indus-Schlucht bis in den Suedwest-Karakorum (Gilgit) verbreitet. Um das Gilgit-Becken sind auch die insgesamt relativ wenigen endemischen Arten des Karakorum zentriert. Das obere Chitral, ein groesserer Teil des Sued-Karakorum (Yasin, Hunza, Baltistan) und ein schmaler Keil entlang der Himalaya-Hauptkette bis Suedost-Zanskar sind ebenfalls relativ reich an Himalayischen Elementen, die noerdlich der Karakorum-Hauptkette praktisch voellig ausfallen. Irano-Turanische Elemente werden hauptsaechlich durch die Ketten an den Grenzen von Afghanistan und Chitral ausgeschlossen, ein reduzierter Artensatz ist jedoch in den inneren Taelern des Sued-Karakorum weit verbreitet. Zentralasiatische und Ost-Pamirische Elemente charakterisieren den Norden und Nordwesten des Karakorum. Einige Areale erstrecken sich, mehr oder weniger disjunkt, auf die Suedabdachung bis Ladakh und Sued-Tibet. Die Verbreitungsgebiete einiger der im Nordosten dominierenden Tibetanischen (Hochasiatischen) Elemente zeigen eine charakteristische Disjunktion ("Karakorum gap") zwischen Ost-Pamir und West- Tibet. Der in verschiedenen Verwandtschaftskreisen gleichlaufende altitudinale und regionale Florenwechsel (vikariierende Arten) wird offenbar in erster Linie durch die ausserordentlich steilen klimatischen Gradienten im Karakorum determiniert. Geologische, oekologische und entwicklungsgeschichtlich-systematische Aspekte der Flora des Karakorum werden diskutiert. Einige charakteristische Verbreitungsbilder deuten auf Zusammenhaenge mit palaeooekologische Bedingungen und Ereignissen und koennen eventuell als Indikatoren fuer die Geschichte der pleistozaenen Eiszeiten oder sogar der tertiaeren Plattentektonik dienen.