Berichte über das Tannensterben existieren bereits seit mehreren Jahrhunderten. Die Ansätze, mit denen versucht wurde, dieses Phänomen zu erklären, sind so vielfältig wie die beschriebenen Symptome. Einigkeit besteht unter den Autoren lediglich in der Feststellung, dass die Weisstanne als besonders empfindliche Baumart zu bezeichnen sei, deren Bewirtschaftung aussergewöhnlich grosse Probleme bereite. Aus diesem Grund wird die Spezies Abies alba auch als "Mimose" unter den Waldbaumarten bezeichnet. Durch verschiedene Provenienzversuche offenbarten sich jedoch deutliche Unterschiede in der Anfälligkeit gegenüber dem Tannensterben. Provenienzen aus dem süditalienischen Teil des Weisstannenverbreitungsgebietes (Calabrien) wiesen keinerlei Symptome des Tannensterbens auf, während die Tannen aus dem mitteleuropäischen Raum stark vom Tannensterben betroffen waren. Die besondere Anfälligkeit kann daher nicht als gleichermassen charakteristisch für die gesamte Baumart Weisstanne gelten. Sie scheint vielmehr nur ein Kennzeichen fuer die Tannenpopulationen Mitteleuropas zu sein. Basierend auf dieser Erkenntnis formulierte Larsen (1986a; 1989) eine Hypothese, in der das Tannensterben als Charakteristikum mitteleuropäischer Tannenpopulationen bezeichnet wird, während die calabrischen tannen weitgehend verschont blieben. Als Ursache nimmt Larsen eine geringe genetische Variation und daher fehlende Anpassungsfähigkeit mitteleuropäischer Populationen sowie eine geringe individuelle Plastizität dieser Tannen an. Die Hypothese wird bereits durch eine Reihe ökophysiologischer und genetischer Untersuchungen bekräftigt. Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist zu überprüfen, ob mitteleuropäische Tannenpopulationen im Vergleich zu calabrischen Populationen tatsächlich eine geringere Anpassungsfähigkeit besitzen und ob deren Individuen darüber hinaus durch eine geringere Plastizität gekennzeichnet sind. Das zur Durchführung dieser Untersuchungen zur Verfügung stehende Versuchsmaterial entstammte in der Regel Einzelbaumabsaaten, so dass die kleinste Untersuchungseinheit Halbgeschwisterfamilien waren. Für das besonders gut repräsentierte calabrische Verbreitungsgebiet (15 Provenienzen) ist eine Gliederung in vier Regionen geographische zusammengehöriger Provenienzen möglich, die eine differenzierte Charakterisierung des calabrischen Weisstannenvorkommens gestattet. Vergleichbare Versuchseinheiten bilden die Regionen Molise (südliches Mittelitalien mit fünf Provenienzen, Norditalien mit drei Provenienzen und Süddeutschland mit sechs Provenienzen (in einem Versuchs waren noch zwei schweizerische Herkünfte vertreten. Es wurden drei Versuche mit unterschiedlicher Zielsetzung durchgeführt, deren Methodik und Resultate im folgenden zusammengefasst werden.