Standardsignatur
Titel
Das vom Baumstamm umwachsene Hirschgeweih : Eine Kuriosität der Kunst- und Wunderkammern des 16. und 17. Jahrhunderts
Verfasser
Erscheinungsjahr
2002
Seiten
S. 161-185
Illustrationen
24 Lit. Ang.
Material
Unselbständiges Werk
Datensatznummer
200093696
Quelle
Abstract
In den als "Spiegel des Universums" konzipierten Kunst- und Wunderkammern des 16. und 17. Jahrhunderts finden sich unter den Kuriositäten aus dem Reich der Natur auch mehrfach in Baumstämmen eingewachsene Hirschgeweihe. Das berühmteste Objekt dieser Art ist der Zweiundzwanzigender auf Schloß Ambras bei Innsbruck. Zwei eingewachsene, schädelechte Geweihe befinden sich in Dänemark (Kopenhagen und Hørsholm) und zwei in Berlin. Alle eingewachsenen Geweihe stammen vom Rothirsch (Cervus elaphus). Außerdem sind zwei Stammstücke bekannt geworden, bei denen lediglich einzelne Geweihteile im Holz stecken (München 1 und 2). Jedes der vollständigen Geweihe war so in der Astgabel einer Eiche fixiert, dass Schädel und Geweihbasen im Laufe der Zeit vom Baum teilweise umwachsen wurden. Bei einem Objekt (Kopenhagen 1) lag wahrscheinlich ein Unfall vor, bei dem sich ein Hirsch unlösbar in einer Astgabel verfangen hat. In drei Fällen (Ambras, Berlin 1 und 2) sind die Geweihe in der Astgabel mit den Stangen nach unten und in einem Fall (Kopenhagen 2) nach oben orientiert auf eine Art, die eine Anbringung durch den Menschen vermuten lässt. Als Erklärung werden ein alter Brauch amtlicher Reviermarkierung durch Einhägen von Geweihen oder eine Hinterlassenschaft von Wilderern diskutiert. Eine Röntgenuntersuchung des Objektes München 1 ergab, dass es sich um ein Artefakt aus fünf verschiedenen Geweihelementen, darunter die rose einer Abwurfstange sowie zwei zusammengehörige Kümmerstangen auf langen Rosenstöcken handelt, die in bestimmter Weise bearbeitet und in vorbereitete Bohrungen eines lebenden Baumstammes eingefügt wurden. Eine dendrochronologische Datierung ergab für den Eichenstamm das Fällungsjahr 1461. Als mögliche Motive werden die Herstellung eines Kunstkammer-Exponates oder eines Apotropäons diskutiert. Denkbar wäre auch eine Art von frühem Pfropfungsexperiment, angeregt durch gewisse Analogien im Wachstum von Bäumen und Geweihen.