Die Bildung der primären Stirnauswüchse von Hirschen geht von einem spezialisierten Periost aus, für das Goss (1983) die Bezeichnung Geweihbildungsperiost ("antlerogenic periosteum", AP) eingeführt hat. Das AP findest sich im Bereich der äußeren Stirnbeinleisten, einer Region des Cervidenschädels, die mit hoher Wahrscheinlichkeit von Zellmaterial der Neuralleiste aufgebaut wird. Wie von Hartwig (1968b) und Hartwig und Schrudde (1974) entdeckt wurde, ist das AP zu autonomer Differenzierung befähigt. Transplantation des AP an andere Koperstellen führte zur Bildung heterotoper Rosenstöcke und Geweihstangen. Dies belegt, dass das AP zur Rosenstock- und Geweihbildung determiniert ist. Die Zellen des AP und des von ihm abstammenden Perichondriums der Geweihstange besitzen Merkmale (hoher Glykogengehalt, lange Lebensspanne in vitro), wie sie normalerweise nur bei embryonalen Zellen gefunden werden. Diese Befunde stützen unsere, ursprünglich auf Untersuchungen an Doppelkopf-Geweihen beruhende Hypothese, dass determinierte periostale Stammzellen für die Bildung sowohl der primären Stirnauswüchse (Rosenstöcke und Primärgeweihe) wie der Folgegeweihe verantwortlich sind. Bei Darmhirsch und Rothirsch erfolgt die Bildung der Rosenstöcke und Geweihe auf dem Wege einer modifizierten enchondralen Ossifikation. Beim Reh sprechen die histologischen Befunde dafür, dass die Rosenstöcke durch desmale Ossifikation aufgebaut werden, während die Geweihbildung durch enchondrale Ossifikation erfolgt. Die Umwandlung der den Rosenstock bedeckenden Stirnhaut zur typischen Basthaut des wachsenden Geweihs stellt eine spezifische Reaktion des Integuments auf ein induktives Signal dar, das von subdermalen Geweih-bildenden (vermutlich periostalen/pericondralen) Zellen ausgeht. Das Auftreten heterotoper Geweihstange belegt, dass beim Einwirken starker unphysiologischer Reize auch das Schädelperiost außerhalb des Rostenstockanlagebereichs zur Bildung von Geweihstrukturen befähigt ist. Im Gegensatz zum AP ist dieses Periost jedoch nicht zur Stirnauswuchsbildung determiniert. Dies wird dadurch belegt, dass es nicht möglich ist, durch Transplantation dieses Periostes heterotope Rosenstock- bzw. Stangenbildungen hervorzurufen.