Das heutige Waldbewusstsein der nicht in Forstberufen tätigen Bevölkerung wird hier auf der Grundlage einer qualitativen empirischen Untersuchung dargestellt. Es geht bei dieser kulturwissenschaftlichen Fragestellung nicht um den Zustand der Wälder, sondern darum, wie diese den Menschen in ihrem Denken und Erleben subjektiv gegeben sind, wie sie gewünscht und genutzt werden und auf welchen Traditionen (Literatur, bildende Kunst, Musik, etc.) die heute wirkenden Kulturmuster basieren. Wenn Wald in der Lebensgeschichte eine wichtige Bedeutung erreicht, lässt sich das regelmäßig auf verinnerliche Erfahrungs- und Erinnerungsmuster vom Typ "Familienwanderung" und auf die Wirkung vorbildhafter Personen zurückführen. Die emotionale Bindung an Wald gilt dabei meistens bestimmten Waldformen, etwa den Fichtenwäldern im Harz. Die in der Bevölkerung verbreiteten Vorstellungen von einem schönen Wald reflektieren in subjektiven Modifikationen vornehmlich die in der Romantik entstandene kulturelle Bilderwelt. Bereits am Ende des 19. Jahrhunderts hatte dieses Kulturmuster die Schicht der Industriearbeiter erreicht. Bei der Landschaftswahrnehmung fällt ein geschlechtsspezifischer Unterschied ins Auge. Während Männer vielfach den Panoramablick in der Tradition der trivialisieren Landschaftsmalerei favorisieren, konzentrieren sich Frauen außerdem wesentlich häufiger auf den Mikrokosmos der Moose und die Krautschicht des Waldes. Die Gesamtheit der ästhetischen Vorstellungen wird heute von ökologischen Befürchtungen überlagert und teilweise dominiert. Bis in die Gegenwart hat der Wald nachts, aber auch in der Stille des Mittags, für viele eine Unheimlichkeit behalten. Hier wirken Traditionen aus "vormoderner" Zeit, speziell Märchen und Sagen in die Gegenwart hinein. In exemplarische Weise erreicht diese auf eine Mensch-Umwelt-Harmonie angelegten in der Gesamtbevölkerung bis in die aktuelle Naturphilosophie verbreiteten Wirklichkeitsbilder, die esoterischen Mittelschichtsmilieus der Städte. Doch auch historische Ereignisse der Gegenwart, z.B. der Reaktorenunfall von Tschernobyl und Ereignisse der Nachkriegsgeschichte des 2. Weltkriegs, werden nach dem Vorbild tradtioneller Formen des Waldbewusstseins "mythenhaft" verarbeitet. Die Hysterie, die sich in weiten Teilen der Bevölkerung in den 1980er Jahren um das "Waldsterben" entwickelte, sollte auch im Kontext eines von romantischen Ganzheitsvorstellungen, tradierten Mythen und Ängsten geprägten Waldbewusstseins interpretiert werden. Jedenfalss bleibt Wald in der deutschen Öffentlichkeit infolge der politischen Geschichte und Kulturgeschichte ein sensibles gesellschaftliches und politisches Kulturthema. Die bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts gegebene politische Funktion eines nationalen Symbols hat "der Wald" infolge der neueren Geschichte mit ihrer "deutschen Waldideologie" zunehmend eingebüßt.