Im Anschluß an die Hochwasserkatastrophe von 1987 in den Alluvionsebenen der Maggia und der Melezza im Kanton Tessin wurden zur Untersuchung der weiteren Entwicklung des Zusammenflußbereiches der beiden Flüsse hydraulische Modellversuche durchgeführt. Die anschließend realisierten Verbauungsmaßnahmen basierten im wesentlichen auf den Ergebnissen dieser Versuche. Schon bald nach Fertigstellung der Verbauungen wurde im eigentlich breiten Flußbett der Melezza stellenweise eine starke Eintiefung innerhalb eines schmalen Einzelgerinnes festgestellt. Diese Entwicklung erfaßte nach und nach den gesamten Unterlauf der Melezza und gefährdet heute zunehmend die Stabilität der Uferverbauungen. Eine weitergehende morphologische Untersuchung ergab nun, daß sich die Melezza offenbar bereits seit längerer Zeit in einem Erosionszustand befindet. Der Hauptgrund dafür dürfte eine abnehmende Geschiebezufuhr aus dem Oberlauf sein. Die Erosionstendenz steht aber auch im Zusammenhang mit lokalen Phänomenen, welche sich gegenseitig beeinflussen. Einerseits handelt es sich dabei um eine rückschreitende Erosion, ausgehend von der Mündung der Melezza. Andererseits dürfte die starke Eintiefung lokal durch die Krümmung des Flußlaufes begünstigt worden sein. Mit zunehmender Eintiefung nahm die Abflußkonzentration innerhalb eines dominanten Gerinnes zu, womit wiederum die Erosion verstärkt wurde. Solange nicht ein größeres Hochwasser für eine umfassende Umgestaltung des Flußlaufes sorgt, dürfte diese Entwicklung weiter anhalten. Im Rahmen der kürzlich abgeschlossenen Untersuchung wurden unter anderem die Gründe für die ausgeprägte Rückwärtserosion im untersten Abschnitt der Melezza erörtert. Der Einfluß dieser Erosion ist heute entlang einem rund 1 km langen Abschnitt prägend. Die Eintiefung seit der ersten Sohlenaufnahme von 1980 beträgt innerhalb der Erosionsrinne im Mittel rund 4 m. Wie die Untersuchung ergab, dürfte die Rückwärtserosion zum Großteil auf eine im Anschluß an die Hochwasserkatastrophe von 1978 ausgeführte Maßnahme zurückzuführen sein. Damals wurde aus hydraulischen Gründen eine Insel aus dem Flußbett der Maggia entfert, was lokal eine Abtiefung von rund 4 m zur Folge hatte. Weil das Flußbett der Maggia in bezug auf die Sohlenlage der Melezza eine geometrische Randbedingung darstellt, ist die beobachtete Rückwärtserosion als Anpassung an die veränderte Randbedingung aufzufassen. In den Modellversuchen Anfang der 80er Jahre wurde die Absenkung des Flußbettes der Maggia bereits berücksichtigt. Damals konnte im untersten Abschnitt der Melezza auch tatsächlich eine Rückwärtserosion festgestellt werden. Dennoch wurde das Ausmaß der sich abzeichnenden Entwicklung aber unterschätzt. Hauptursache dafür dürfte sein, daß die Untersuchung auf extreme Hochwasserereignisse fokussiert war und deshalb keine kleineren Abflüsse untersucht wurden. Mit den heutigen Mitteln und dem deutlich verbesserten Kenntnisstand über die Zusammenhänge bei der morphologischen Entwicklung in breiten, kiesführenden Flüssen würde man sowohl die Versuchsanordnung als auch die Methodik bei der Durchführung der Versuche anders wählen. Das Beispiel der Melezza zeigt aber insbesondere auch auf, daß eine möglichst umfassende Betrachtung sowohl in physikalischer als auch in zeitlicher Hinsicht für die Erfassung der längerfristigen morphologischen Entwicklung eines Flusses von entscheidender Bedeutung ist.
384.3 (Wildbachverbauung) 116.3 (Untersuchungen über Wasserführung in Gewässern und Ufererosion [Unterteilung wenn nötig wie 116.2]) 424.2 (Überschwemmung. Stauwasser im Boden) [494] (Schweiz)