Das Verständnis über Bestandesregulierung von nördlichen Großherbivoren wie Cerviden hat wichtige praktische und theoretische Bedeutung. Lösungen für hohe Dichten von Cerviden müssen auf einer Theorie basieren und verlangen deshalb eine Analyse der sich widersprechenden Ansichten von top-down und bottom-up Regulierung. Die Erstere erkennt, dass Selbst-Regulierung unter Cerviden nicht besteht und dass Prädation für Bestandesregulierung notwendig ist. Die Letztere räumt den Cerviden ein, dass die Kapazität besitzen, ihren Bestand der Nahrungsquelle anzupassen. Dabei wird übersehen, dass dies keiner evolutinären Strategie, sondern vorhersagbaren physiologischen Reaktionen auf Nahrungsmangel entspricht. Zudem sind Studien oft in anthropogen modifizierter Umwelt oder ohne Berücksichtigung der modulierenden Effekte der Prädatoren gemacht worden. Durch die gegebene Schwierigkeit, zukünftig die ursprüngliche Beziehung zwischen nördlichen Großherbivoren und -raubtieren durch Feldstudien zu klären, ist es angebracht, sich auf andere relevante Wissensgebiete zu beziehen. Evolution, Thermodynamik, Analysen von Nahrungsketten und -zyklen deuten alle darauf hin, dass organische Entwicklung durch irreversible Prozesse richtungsspezifisch ist, sodass Ökosysteme optimale Ordnung und Anhäufung von Energie und Nährstoffen erreiche. Großraubtiere sind nicht nur luxuriöse Erscheinungen der Evolution, sondern sind Folge der genannten Gesetze und erhöhen somit die Wirksamkeit des Systems im Abfangen solarer Energie. So wird verständlich, dass Evolution in analoger Weise Raubtiertypen mehrere Male und innerhalb verschiedener Taxa hervorbrachte (z.B. 4mal als Säbel-Säuger, alber auch als Säbel-Beuteltier). Zudem sind unter den Großraubtieren mehrere, für Selbst-Regulierung wichtige Charakteristika weitverbreitet: Territorialität, intra- und interspezifisches Töten, Prey-Switching und Dispersion. Im modifizierten Ökosystem können Dichten der Cerviden jedoch so hoch werden, dass auch eine intakte Räubergemeinschaft keine Regulierung mehr erreicht, weil die obere Grenze der Prädatorendichte durch Sozialverhalten bestimmt wird. Da die Wirksamkeit beim Beutefang sehr gering ist, beeinflussen Raubtiere zudem die Verbreitung und Verhaltensweise der Herbivoren, welche die Herbivore-Pflanzen Beziehung beeinflussen. Cerviden reagieren physiologisch auf Nahrungsmangel, prinzipiell unter extremen Bedingungen und so spät, dass die Pflanzengesellschaft schon schwer beschädigt ist und der Bestand ein Massensterben erleidet. Die Behauptung, dass in solchen Situationen "natürliches Selbst-Regulieren" existiert, ist ein irrtümliche Konzept, das besser als forciertes Verhungern bezeichnet werden sollte. Die Integration der Herbivoren im Ökosystem entstand unter ständiger Bestandeskontrolle durch die Großraubtiergemeinschaft, d.h. die Beziehung zwischen Pflanzengemeinschaft und Herbivoren wurde prinzipiell durch Raubtiere moduliert. Nur in der Kulturlandschaft finden sich Bestände von Herbivoren, die ausschließlich durch die Nahrungsangebot reguliert werden. Daraus lassen sich zwei Schlüsse ziehen. 1. Die Dichte von Herbivoren über ein Limit hinaus führt unweigerlich zu Verschiebungen in der Pflanzen- und Tierartenzusammensetzung, und des Musters der Stoff- und Energieflüsse: das System wird effektiv auf einen weniger komplexen Stand und zu abnehmender Produktivität gebracht, ein evolutionärer Rückschritt. 2. Die anthropogene Modifizierung der für das Wohlergehen der Herbivoren nötigen ökologischen Parameter verlangt, dass wir mit entsprechender Verantwortung dieselben ersetzen, sodass das zukünftige Wohlergehen die Herbivoren garantiert wird. Für Cerviden bedeutet das die Durchführung der Jagd, sodass die Bestandesdichte optimale Biodiversität und natürliche Verjüngung erlaubt. Wo die Raubwildgemeinschaft immer noch intakt ist, sollte sie mit allen Mitteln geschützt werden, und wo immer noch möglich, soll die Gemeinschaft wieder instand gesetzt werden.