Auf pollenanalytischer Grundlage wurde versucht, den Urwaldcharakter zweier Naturwaldreservate (Rothwald und Neuwald in den Niederösterreichischen Kalkalpen) zu überprüfen durch Rekonstruktion der Gesellschafts- und Bestandesentwicklung unter besonderer Berücksichtigung des menschlichen Einflusses. Ein Diagramm aus dem Lunzer Untersee (BURGER 1964) und ein Hochmoorprofil klärten die regionale Entwicklung des montanen Fichten-Tannen-Waldes (Abieti-Fagetum) ab. Nach einer Eichenmischwaldzeit mit Fichten-Dominanz (VI/VII) war der stets fichtenreiche Bergmischwald zunächst (VIII) relativ tannenreich, später buchenreich (IX), während im älteren Subatlantikum sich auch unter natürlichen Bedingungen wieder die Fichte stärker durchsetzte. Der anthropogene Einfluss setzt im Gebiet relativ spät ein und spiegelt sich vielfältig in den Diagrammen wider: plötzliches Absinken von Abies, starker Rückgang der Bewaldungsdichte, gleichzeitiges Ansteigen von Pinus, Betula, Larix, Kulturpollen, NBP. Drei Maxima prägen sich aus: Alpweiderodung im 13./14. Jahrhundert, Holzkohlenerzeugung für die Eisenindustrie im 17./18. und Beginn der geregelten Forstwirtschaft (Brennholzversorgung für Wien) im 19. Jahrhundert. Profile von Rohhumusauflagen und Waldmoore spiegeln in vielen Einzelheiten vor allem die lokale Wald- und Bestandesentwicklung wider. Ihre Auswertung setzt eine eingehende soziologisch-ökologische Kenntnis der Waldgesellschaften, eine kritische Überprüfung des Nah- und Fernfluganteiles im Pollenspektrum und lokale Kenntnisse über die Unter- bzw. Überrepräsentation der Klimaxbaumarten voraus. Im Rothwald kann die Entwicklung einer Fagus-Variante des Abieti-Fagetum auf sog. "laubbaumfördernder Unterlage" und im Neuwald mit Einschränkung jene einer Abies-Picea-Variante auf "nadelbaumfördernder Unterlage" verfolgt werden. Die lokal ausgeprägten Profile lassen im Gegensatz zum regionalen Profil bei abgeschwächtem Auftreten von Kultur- und Nichtbaum- Weitflugpollen keinen abrupten Entwicklungsbruch bei den Klimaxbaumarten erkennen, wobei sich die Tanne als feiner Indikator für den anthropogenen Einfluss erwies. Da in der unmittelbaren Umgebung der Profile keine Nutzungen nachzuweisen sind, ist im Verein mit den forstgeschichtlichen Ergebnissen, die für die verkehrsentlegenen sehr bringungsungünstigen Waldgebiete erst im frühen 19. Jahrhundert wesentliche Nutzungen belegen, und unter Berücksichtigung des naturnahen Aufbaus der Reservate mit 300-bis 600jährigen Altbäumen der Schluss gerechtfertigt, dass es sich bei beiden Urwaldresten noch um primäre unberührte Urwälder im engeren Sinne handelt. Infolge der geringen Grösse und starker Randwirkungen durch Fichtensekundärbestände ist die Urwalddynamik im Neuwald in Frage gestellt, gefährdet heute aber in beiden Reservaten durch eine Wilddichte, die erheblich über der naturnahen liegt. Die Untersuchungen haben ferner erwiesen, daß es methodisch möglich ist, von der regionalen Waldgeschichte ausgehend die lokale Geschichte einzelner Waldgesellschaften (Assoziationen) aufzuhellen.
182.1 (Paläoökologie. Paläobotanik. Vegetationsgeschichte. Pollenanalyse [Siehe auch 561.24Variationen und Tendenzen. Jahrringchronologie]) 902 (Geschichte der Wälder und des Forstwesens [Unterteilung durch Querverweise zu den geographischen und sachlichen verwende 902:972 oder 972.1/.9 für bestimmte Organisationen]) 228.81 (Urwald (Primärbestände)) [436.3] (Niederösterreich)