Im Gegensatz zu vielen anderen Zweigen der Biologie ist in der Chorologie der Sprung von einer hauptsaechlich deskriptiven Betrachtungsweise hin zu einem mehr experimentell-analytischen Ansatz bisher kaum geglueckt. Hauptverantwortlich dafuer sind vor allem zwei Ursachen: 1. Grundlegende Postulate der traditionellen Arealkunde sind einer experimentellen Ueberpruefung nur schwer zugaenglich. Dazu gehoert insbesondere die Hypothese, dass aktuelle Arealbeschraenkungen in vielen Faellen durch "mangelhafte Ausbreitungstendenzen" auf Grund genetischer Verarmung waehrend Arealschrumpfungsphasen (verursacht in erster Linie durch eiszeitliche Gletschervorstoesse) zu erklaeren seien. 2. Die Integration moderner populationsbiologischer und -genetischer Befunde in die botanische Arealkunde ist bisher (besonders in Mitteleuropa!) weitgehend unterblieben. Vor diesem Hintergrund wird versucht, ein Erklaerungsmodell fuer allgemein anerkannte chorologische Phaenomene (etwa den besonderen Endemitenreichtum eiszeitlich unvergletschert gebliebener "Refugialgebiete") auf der Basis eines modernen populationsbiologischen Ansatzes zu erarbeiten. Ausgangspunkt aller Ueberlegungen ist die in der Populationsgenetik bereits wiederholt erprobte Annahme, dass aktuelle Arealgrenzen normalerweise durch zwei antagonistisch wirkende Kraefte fixiert werden: - Expansionsfoerdernd wirkt permanenter Genfluss (durch Diasporentransport) ueber die aktuellen Arealgrenzen hinaus. - Dem entgegen wirkt die Konkurrenz anderer, vikariierender Arten mit vergleichbarer (im verwendeten Modell identischer) oekologischer Nische, welche ihrerseits analoge Ausbreitungstendenz zeigen. Die Kombination beider Kraefte zu einer Rekursionsgleichung ermoeglicht die Simulation der raeumlichen Entwicklung zweier total konkurrierender Arten unter den verschiedensten Annahmen und fuer viele Tausende von Generationen. Das hier vorgestellte Grundmodell basiert auf einer positiv Frequenz- korrelierten Fitness-Funktion (PFKFF) fuer jede der beiden konkurrierenden Arten. Unter Freilandbedingungen ist dies insbesondere bei obligat allogamen Arten (etwa den allermeisten Arten der Gramineengattung Festuca L.) zu erwarten, deren Diasporenproduktion und -vitalitaet der Fremdbestaeubungswahrscheinlichkeit und damit der Populationsdichte proportional ist. In seinen mathematischen und auch biologischen Konsequenzen entspricht dieses Modell den "tension zone"-Modellen der modernen Populationsgenetik, die stabile raeumliche Grenzen zwischen Unterarten durch Fitnessreduktion auf Grund von Hybridunvertraeglichkeit erklaeren. Folgende allgemeingueltige Schlussfolgerungen ergeben sich aus den durchgefuehrten Simulationen: 1. Die Lage aktueller Arealgrenzen wird beim praesentierten Modell nicht durch aktuelle Umweltbedingungen festgelegt, sondern ausschliesslich durch einen historischen Faktor, naemlich den Punkt des ersten Kontaktes zwischen beiden Konkurrenten (etwa nach postglazialen Expansionsphasen). 2. Wo immer PFKFFs im Spiel sind, benoetigen Populationen gewisse Mindestareale, um gegen eine Invasion durch konkurrierende Arten stabil zu sein. Populationszusammenbrueche durch geringfuegige Unterschreitung des Minimalareals beginnen zunaechst extrem langsam, zeigen aber in der Folge autokatalytisches Verhalten, was in der Endphase zu vergleichsweise erdrutschartigen Arealeinbussen und schliesslich zum Aussterben in vergleichsweise kurzen Zeitraeumen fuehrt. 3. Umgekehrt folgt aus Punkt 2, dass die Etablierung teilweise reproduktiv isolierter Mutanten (z.B. Polyploider) innerhalb von bereits existierenden Populationen mit einer PFCFF solange unmoeglich ist, als nicht zusaetzliche Effekte ins Spiel kommen, etwa eine effektive vegetative Verbreitung der Mutante oder deren allgemein stark ueberlegene Fitness (z.B. durch Heterosis-Effekte). 4. Aus Punkt 1-3 ergibt sich ein modifiziertes Erklaerungsmodell fuer den wiederholt festgestellten hohen Prozentsatz von Neopolyploiden in eiszeitlich devastie...