Moränen von Gletschervorstößen, die Baumring-Forschung (Dendrochronologie) und die multidisziplinäre Auswertung von Seesedimenten unter Einbezug von Organismen, die als Indikatoren von Umweltvariablen dienen, weisen für die letzten 20.000 Jahre auf mehrmalige Wechsel von kälteren und wärmeren Perioden hin. Der Temperaturanstieg nach dem Ende der letzten Eiszeit wurde durch mehrere Kälteschwankungen unterbrochen. Von den klassischen alpinen Gletschervorstößen (Stadialen) sind Gschnitz und Egesen Ankerpunkte in einer sich noch im Aufbau befindlichen gletscherkundlichen Chronostratigraphie des ausklingenden Glazials. Diese Stadiale sind jedoch auch ein Beispiel dafür, wie in zunehmenden Maße versucht wird, die durch verschiedene Proxies (= Indikatoren, Klimazeiger) rekonstruierten Klimaschwankungen in einem größeren, zumindest nordhemisphärischen Rahmen zu betrachten. Dabei bieten sich vor allem die Sauerstoffisotopen grönländischer Eiskerne oder Ereignisse in dem als "europäische Klimaküche" betrachteten Nordatlantik an (z. B. die klimaabhängigen Verschiebungen in der nordpolaren Packeiszone und Eisdrift = "ice rafting events"). Die Amplituden dieser Klimaschwankungen nahmen in der späten Eiszeit stufenartig ab und pendelten sich in den letzten ca. 11.500 Jahren (- Holozän) auf eine relativ enge Bandbreite von etwa ʼ1.5 °C ein. Die Kälteschwankungen (= Klimaoszillationen) des Holozäns zeigen eine annähernd tausendjährliche Wiederkehr, deren Steuermechanismen wohl extraterrestrischer Natur sind, wie zum Beispiel Veränderungen der Erdlaufbahn um die Sonne. Hinzu treten kurzfristige, zumeist azyklische, Klimafluktuationen, wie zum Beispiel die oft zitierte Kälteschwankung um 8200 vor heute, sowie Extremereignisse, die anderen Steuermechanismen unterliegen dürften. Zwischen den Moränen des ausklingenden Spätglazials (Egesen) und jenen des 1850er Hochstandes sind in den Alpen noch weitere Moränenstaffeln eingeschachtelt, die bisher nicht alle mit den durch andere Indikatoren angezeigten Klimaschwankungen des Holozäns in Übereinstimmung gebracht werden konnten. Heute beginnt man sich auch verstärkt jenen Zeiträumen zuzuwenden, in denen die Alpen, ähnlich wie für die nahe Zukunft prognostiziert, nur eine geringe Gletscherbedeckung zeigten. Solche Warmperioden waren das älteste Holozän, die in einzelne Warmphasen ("events") aufgespaltene sogenannte postglaziale Wärmezeit, Teile der Bronzezeit, die Römerzeit und Abschnitte des Früh- und Hochmittelalters. Von diesen Warmperioden wiesen die Römerzeit und das Hochmittelalter ähnliche Temperaturen wie heute auf. Der Vergleich mit der aktuellen Klimaerwärmung hinkt jedoch, da es erwiesen ist, dass der Mensch durch den Ausstoß von Treibhausgasen in die Atmosphäre den Prozess der globalen Klimaerwärmung mit verursacht und beschleunigt. Hinzu kommen neuerdings Indizien, dass sich die Jahreszeiten unterschiedlich entwickeln, sodass der "saisonalen Klimaforschung" besondere Bedeutung für das Verständnis der komplexen Klimaabläufe zukommt. In den Warmzeiten verschiebt sich auch die Grenze des dauerhaft gefrorenen Bodens (Permafrost) in den Alpen nach oben, wie dies derzeit mit all ihren Konsequenzen, wie z.B. der Destabilisierung von Berghängen mit folgenden Bergstürzen, sichtbar wird bzw. Ziel aktueller Forschung ist, die den komplexen Wechselbeziehungen zwischen Klima, Böden und Gewässern nachgeht (z.B. die verstärkte Freisetzung von Schwermetallen aus dem tauenden Permafrost). Hinzu kommen klimagesteuerte Verschiebungen in der Biodiversität und verborgene, da unterhalb des Artniveaus ablaufende "mikroevolutive" Aspekte, die jedoch mit Hilfe molekulargenetischer Techniken sichtbar gemacht werden können. Den ausgeprägten Warmzeiten steht die im 16. Jh. beginnende so genannte "Kleine Eiszeit" gegenüber, die im neuzeitlichen Gletscherhochstand um 1850 gipfelte. Wenn auch die Bilanzierung der Gletscher ein aufwändiges Verfahren ist, so zeigen sich dennoch im Vergleich zu diesem Hochstand die erheblichen Massenveluste der Alpengletscher während der letzten Dekaden. Sie sind ein sichtbarer Ausdruck der rezenten Klimaerwärmung. Diesem Gletscherverlust steht die Neubildung von Seen gegenüber, für deren Wiederbesiedelung die Vergangenheit wichtige Referenzdaten zu liefern vermag. Wesentlich schwieriger fass- und rekonstruierbar, da deutlich variabler als die Temperatur, ist der Niederschlag. Ähnlich wie für die Temperatur sind jedoch auch hier Langzeittrends, Oszillationen, saisonale und räumliche Aspekte wie zum Beispiel die klimatische Heterogenität zwischen Nord und Süd, West und Ost, sowie kurzfristige Fluktuationen und Extremereignisse zu berücksichtigen. Im Langzeittrend über Jahrtausende ist allgemein eine Entwicklung von den kontinental geprägten Verhältnissen des Spätglazials zu humideren des Holozäns feststellbar. Diese Entwicklung scheint Hand in Hand mit Veränderungen der Küstenlinien im Zuge des globalen holozänen natürlichen Meeresspiegelanstiegs zu gehen. So entwickelten sich im Laufe des Holozäns die heutigen Klimabezirke der Alpen als eine von West nach Ost laufende Barriere im Einflussbereich zwischen dem ozeanisch geprägten Klima des Atlantiks, dem adriatisch-mediterranen, sowie kontinentalen Klima. Die Einflussgrößen, wie etwa die hauptsächlich das Winterklima in den Alpen beeinflussende Nordatlantische Oszillation (NAO) und Zyklone des nördlichen Mittelmeers (z.B. Genua Tief), scheinen jedoch nicht konstant gewesen zu sein, wie das Beispiel eines seit dem Mittelalter wieder kontinentaler gewordenen inneralpinen Raums vermuten lässt und durch Klimadaten der letzten 130 Jahre erhärtet wird. Bei der Suche nach weiteren Proxies für die Rekonstruktion des Niederschlags in der Vergangenheit könnte sich in den Ostalpen auch die niederschlagsabhängige Baumringbildung bei der Schwarzföhre als hilfreich erweisen. Der Einfluss der Meere als Steuermechanismen für Veränderungen großräumiger Zirkulationsströmungen und deren Einfluss auf die Alpen, wie etwa die Interaktionen zwischen Atlantik (El Nino/La Nina) und Mittelmeer, ist verstärkt Ziel aktueller Forschung. Dieser Band zeigt jedoch auch, wie sehr sich die Rolle des Menschen in den vergangenen Jahrtausenden verändert hat: von der weitgehenden Klimaabhängigkeit in prähistorischen Zeiten über eine bedarfsorientierte Sozioökonomie am Beispiel Hallstatt bis hin zur modernen Zeit, wo der Mensch selbst aktiv in das Klimageschehen eingreift. Der vorliegende Band vermittelt einen Einblick, wie vielschichtig das Klima im Alpenraum ist, wenn wir von den homogenisierten instrumentellen Daten der letzten Jahrhunderte zur Klimadynamik größerer Zeiträume übergehen und welche möglichen natürlichen Einflussgrößen es zu berücksichtigen gilt, wenn realistische Modelle und Zukunftsszenarien für die Alpen im Klimawandel entwickelt werden sollen. Der Band zeigt auf, dass wir, wenn wir realistische Szenarien für das Klima des 21. Jahrhunderts entwickeln wollen, noch sehr viel über das Klima der Vergangenheit, das heißt des gesamten Holozäns, zu lernen haben. Dieses Ziel werden wir nur mit innovativen und interdisziplinären Forschungsansätzen und mit Hilfe internationaler Forschungsnetzwerke erreichen. Da die Alpen nicht nur das Wasserschloss Europas, sondern auch ein eminenter Klimafaktor für den gesamten Kontinent sind, werden sie auch in Zukunft für die Klimaforschung eine zentrale Rolle spielen.