Aufgabe vorliegender Arbeit war es, die vom Menschen weitgehend unbeeinflußte, natürliche Verbreitung der Weißtanne (Abies alba Mill., syn. Abies pectinata Lam.) im Bodenseegebiet und deren künstliche Veränderungen zu untersuchen und darzustellen. Gleichzeitig sollte damit ein Beitrag zu einer ökologisch komplexen Betrachtungsweise der von der Weißtanne im Bodenseegebiet unter wechselnden klimatischen Verhältnissen besiedelten Standorte geliefert werden. Dabei wurden auch die von F. Vertsch (1935), F. v. Hornstein (1951) und F. Reinhold (1956) im Bodenseegebiet beschriebenen "Tannengrenzen" einer kritischen Überprüfung unterzogen. 1. Nach bestands- und waldgeschichtlichen Untersuchungen findet die Tanne im Bodenseegebiet keine festumrissene Grenze ihrer natürlichen Verbreitung. Dieser Befund deckt sich mit vorliegenden pollenanalytischen Untersuchungsergebnissen. Im niederschlagsärmeren westlichen Bodenseegebiet tritt die Tanne in der natürlichen Bestockung zurück infolge Konkurrenz der auf den sandigen, kalkreichen gut durchlüfteten und hangfrischen Molasseverweitterungsböden überaus vitalen Buche (Buchenoptimum). Daneben wurden "Tannenausschluß- und Tannengrenzstandorte" im westlichen Bodenseegebiet beschrieben. Eine Grenzziehung auf Grund klimatischer Faktoren, insbesondere Niederschlag und Temperatur ist nicht möglich; die von verschiedenen Autoren beschriebenen "Tannengrenzen" bedürfen somit einer Ergänzung. Günstige Tannenstandorte sind im westlichen Bodenseegebiet durch hohen Feinkornanteil des Bodens (schwere Lehm- und Tonböden der Pseudogley-, Stagnogley- und Gleybodentypen) gekennzeichnet, auf denen die Konkurrenzkraft der Buche abgemindert ist und die sich durch eine Wasserversorgung auszeichnen. Im östlichen Bodenseegebiet ist die Tanne fast auf allen Standorten vertreten, mit Ausnahme auf sauren Anmooren und Mooren. Auf schweren Lehm- und Tonböden findet sie auch hier einen Schwerpunkt ihrer Verbreitung im tannenreichen Plenterwald. 2. Durch anthropogene Einflußnahme wurde die natürliche Siedlungstendenz der Weißtanne eingeengt. In den tiefen Lagen des Bodenseegebietes hat sich die im natürlichen Verbreitungsgebiet von Eiche und Hainbuche seit Jahrhunderten geübte Mittelwaldwirtschaft nachteilig auf die Verbreitung der Weißtanne ausgewirkt. Neben einseitiger Auslese und künstlicher Förderung der vom Stock ausschlagenden Laubbaumarten wurden die Nadelbaumarten, wie an Hand von Archivalien nachgewiesen werden konnte "ausgemerzt". Im Buchenoptimum des westlichen Bodenseegebietes (Hanglagen auf Molasse) haben Dunkelschlagverjüngung und Niederdurchforstung die sich hier über den Vorwuchs regenerierende Tanne zurückgedrängt. Die Wuchsrelationen von Buche und Tanne bzw. Fichte und Tanne wurden an 24 Stammanalysen, 10 Dickungsaufnahmen und zahlreichen Trieblängenmessungen überprüft und daraus Folgerungen für den Verjüngungsbetrieb gezogen. 3. In 46 Beständen wurden Probeflächen von je 0,5 ha gekluppt; für 30 dieser Bestände war es möglich, eine vollständige Bestandsgeschichte (einschließlich Verjüngung des Vorbestandes) zu ermitteln, um waldbauliche Maßnahmen auf ihre Wirkung, insbesondere im Hinblick auf die Tanne, verfolgen zu können. Der heutige Aufbau dieser Bestände ist durch vermessene Bestandsaufrisse (Köstler 1953) festgehalten worden. Aus den Ergebnissen dieser Aufnahmen konnte die Bedeutung des Bestandsgefüges für Entwicklung und Leistung der Tanne im Optimalgebiet und in Grenzgebieten nachgewiesen und Folgerungen für den Verjüngungs- und Pflegebetrieb gezogen werden. 4. Auf Grund von 7000 Höhenmessungen und 2500 Zuwachsbohrungen wurde die Leistung der Weißtanne in verschiedenen Waldgesellschaften untersucht. 5. Untersuchungen an 15 Wurzelprofilen von Alttannen auf verschiedenen Standorten machen die hohe Tiefenstoßkraft der Tanne aufscheinend. Auf flachgründigen, jedoch zerklüfteten Weißjurastandorten dringt die Tanne in alle sich bietenden Spalten ein und vermag auf diese Weise Trockenperioden gut zu überstehen. Auf kiesreichen Endmoränenböden spaltet sich die Pfahlwurzel infolge mechanischer Widerstände frühzeitig auf; das Horizontalwurzelsystem ist hier relativ stark ausgebildet. 6. Seit Mitte des vorigen Jahrhunderts ist versucht worden, die Tanne im westlichen Bodenseegebiet durch Saat und Pflanzung verstärkt am Bestockungsaufbau zu beteiligen. Die Ergebnisse waren unterschiedlich, meist wenig befriedigend. Die Ursachen hierfür sind verschiedener Natur: mangelnde Standortswahl, ungeeignete Pflanz- und Saatmethoden, Konkurrenz durch Buchenverjüngung und Unkräuter, Schäden durch Rehwild, Trockenjahre, Spätfröste u.a. Aus gelungenen Beispielen, die bestandsgeschichtlich untersucht würden, konnten Folgerungen für zweckmäßigen künstlichen Anbau der Tanne gewonnen werden.