Nach dem Zusammenbruch des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) und der damit einhergehenden Unabhängigkeit der mittel- und osteuropäischen Staaten (MOEL) ist der Inter-Handel zwischen Ost- und West stetig angestiegen und die MOEL haben als Export- und Importregion für die EU(15) an Bedeutung gewonnen. Der Ost-West-Handel mit Holz und Produkten auf der Basis Holz hat sich von 1995 bis 2001 sehr dynamisch entwickelt; der Roh-, Halb-, und Fertigwarenhandel ist im Beobachtungszeitraum sowohl im Export als auch im Importbereich stetig gestiegen. Dabei spielten arbeitsintensive Produkte eine entscheidende Rolle. Im Vergleich zum Intra-EU(15)-Handel waren die Werte des Inter-Handels aber trotz des dynamischeren Wachstums noch sehr gering. Mit der vorliegenden Arbeit, die am Institut für Ökonomie der Bundesforschungsanstalt für Forst- und Holzwirtschaft Hamburg entstanden ist, wurde ein ökonometrisches Modell entwickelt, welches die Struktur der Handelsströme von Holz und Produkten auf der Basis Holz zwischen EU(15) und MOEL abbildet und die derzeitige und zukünftige Bedeutung der MOEL als Export- und Importpartner der EU(15) aufzeigen kann. Aufgrund unzureichend langer Zeitreihen für die mittel- und osteuropäischen Länder bot sich das Gravitationsmodell zur Schätzung der bilateralen Handelsströme an. Dieses beschreibt den bilateralen Handel in Abhängigkeit der Wirtschaftskraft der Partnerländer und der Entfernung zwischen ihnen. Die Kernaussage des Modells ist: Je größer die Wirtschaftskraft der Partnerländer und je geringer die Entfernung zwischen ihnen, umso größer ist der bilaterale Handel. Das Gravitationsmodell hatte sich bereits in der Vergangenheit zur Schätzung von Handelsströmen zwischen Industrie- und Transformationsländern, sowie zur Berechnung von handelschaffenden Effekten durch Handelsblöcke bewährt.
Da das Gravitationsmodell meist für den aggregierten Handel genutzt wurde, musste das Modell um Variablen ergänzt werden, welche Einfluss auf den Handel mit Waren aus dem Bereich Holz und Papier haben. So konnte die unterschiedliche Größe der Holz- und Papierindustrie in den einzelnen Ländern über die Variable der Pro-Kopf-Produktion des jeweiligen Handelsgutes modelliert werden. Entscheidend war, dass der Außenhandel mit Holz und Papier nicht als Aggregat, sondern für Produktgruppen (Rohholz, Schnittholz, Holzwerkstoffe, Zellstoff, Papier, sonstige Fertigwaren, Papierwaren, Möbel und Druckerzeugnisse) einzeln geschätzt werden konnte. Dies erlaubt eine Unterscheidung der Produktgruppen nach Faktorintensitäten, die Einordnung in Handelsmuster und die Beschreibung der Entwicklung der Strukturen, z.B. die Entwicklung der Anteile von Roh-, Halb-, und Fertigwaren. Das entwickelte Gravitationsmodell eignet sich für die Modellierung der Handelsströme zwischen und innerhalb der beiden Länderblöcke. Die Ergebnisse unterhalb der Ländergruppen, also auf bilateraler Ebene zwischen einzelnen Ländern, sind aufgrund vieler nicht erfasster und schwer zu modellierender weiterer Einflussfaktoren auf den Außenhandel mit Vorsicht zu betrachten. Diese Einflüsse nivellieren sich jedoch über den Gruppendurchschnitt. Zur Schätzung der Handelsströme werden zwei verschiedene Modellansätze genutzt: zum einen das sogenannte out-sample-Modell, bei dem nur der Intra-EU(15)-Handel in das Modell einbezogen wird und zum anderen das sogenannte in-sample-Modell, bei dem alle Handelsströme der EU(15)- und MOE-Länder berücksichtigt werden. Dem out-sample-Modell liegt die Annahme zu Grunde, dass die MOEL in den europäischen Handel genauso integriert werden, wie es die EU(15)- Länder bereits heute sind; es wird eine Angleichung der Handelsmuster der MOEL an die Handelsmuster des Intra-EU(15)-Handels angenommen. Die Struktur des Intra-EU(15)-Handels wird also als “normale Handelsstruktur“, auch für die EU(25) betrachtet. Beim in-sample-Modell wird hingegen auf der Grundlage des Status Quo modelliert. In den Ergebnissen der Modellansätze zeigt sich, dass die Exporte der MOEL in die EU(15) von eher arbeitsintensiven Produkten bereits wesentlich höher sind als das geschätzte Handelspotential. Daran ändert sich auch nach dem modellierten EU-Beitritt der MOEL nichts. Bei den technologieintensiven Produkten ist noch ungenutztes Handelspotential vorhanden, so dass mit einem Anstieg der Exporte in die EU(15) zu rechnen ist. Die Importe der MOEL aus der EU(15) liegen dagegen noch weit unter den Modellergebnissen, hier ist mit einem erheblichen Anstieg der Importe aus der EU(15) zu rechnen. Diese erfahren durch die Integrationseffekte des EU-Beitritts einen erheblichen Schub. Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass sich die Strukturen der modellmäßig projizierten Handelsmuster zwischen EU(15) und MOEL dem “normalen Handel“ in der EU(15) angleichen. Aktuell werden vor allem arbeitsintensive Produkte von den MOEL in die EU(15) exportiert, langfristig gewinnen aber technologieintensive Produkte weiter an Bedeutung. Dies lässt sich aus den Ergebnissen des kurz- und des mittelfristigen Szenarios ablesen. Dieser Trend verstärkt sich mit zunehmender Verringerung der ökonomischen Distanz zwischen den MOEL und der EU(15), also der Angleichung der Pro-Kopf-Einkommen und der damit einhergehenden Annäherung der Einkommenselastizitäten und Verbrauchsmuster. Die komparativen Vorteile der geringeren Lohnkosten in den MOEL werden sich mit der Zeit verringern, aber die Nähe zu den großen Märkten im Westen und Osten bleibt bestehen und wird an Bedeutung gewinnen. Die MOEL werden sowohl als Beschaffungsmärkte als auch als Absatzmärkte für Holz und Produkte auf der Basis Holz für die EU(15) an Bedeutung gewinnen. Dabei wird die Bedeutung als Absatzmarkt, mit anhaltend höheren Wachstumsraten als in der EU(15), wesentlich stärker zunehmen, da die Beitrittseffekte für die Exporte in die EU(15) bereits zum größten Teil vor dem EU-Beitritt realisiert worden sind.