Entwicklung eines dichte- und temperaturabhängigen Stoffgesetzes zur Beschreibung des visko-elastischen Verhaltens von Schnee : Dissertation, ETH Zürich
Schnee ist im Alpenraum eine wichtige Ressource. Gleichzeitig enthält er ein grosses Gefahrenpotenzial. Die Ereignisse im "Lawinenwinter 1999" zeigten, dass beim Umgang mit Naturgefahren, die aus Schnee und Lawinen resultieren, weiterhin ein akuter Handlungsbedarf besteht. Einer der Schwerpunkte im Maßnahmenkatalog war die Verbesserung der Grundlagen in der Schneemechanik, in der Schneedeckenbeurteilung und in der Lawinenkunde. Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist die Entwicklung eines dichte- und temperaturabhängigen Stoffgesetzes zur Beschreibung des visko-elastischen Verhaltens von Schnee, das als Grundlage für die Entwicklung eines dreidimensionalen instationären Modells für die FE-Berechnung dienen soll. Im Rahmen der Aufgabenstellung wurde feinkörniger Schnee im Dichtebereich von 180 kg m-3 bis 430 kg m-3 untersucht. Es wurden ca. 330 Versuche durchgeführt. Der größte Teil davon waren weggesteuerte einaxiale Druckversuche. Zusätzlich wurden weggesteuerte triaxiale Druckversuche, ein- bzw. triaxiale lastgesteuerte Druckversuche und einaxiale Zugversuche durchgeführt. Die Versuchstemperatur wurde in einem Bereich zwischen -18.7°C und -1.8°C gewählt und die Dehnungsgeschwindigkeit reichte von 2.5x10-7 s-1 bis 2.6x10-3 s-1. Im Winter 2001/2002 wurden begleitende Messungen der Schallemissionen im Frequenzbereich zwischen 35 kHz und 1000 kHz durchgeführt. Die Untersuchung des ein- und des mehrdimensionalen visko-elastischen Verhaltens von Schnee brachte, neben der Bestätigung von Ergebnissen aus früheren Arbeiten, neue Erkenntnisse zum viskosen Verhalten und mehrdimensionalen Fließkriterium von Schnee. Es wurde gezeigt, dass die Beziehung zwischen Spannung und Dehnungsgeschwindigkeit während des sekundären Kriechens mit einem Potenzgesetz beschrieben werden kann. Der Exponent der Potenzfunktion ist, im Gegensatz zu polykristallinem Eis, nicht konstant. Es konnten zwei Bereiche mit unterschiedlichen Exponenten identifiziert werden, wobei der Übergang von einem Bereich zum anderen von der Dichte und von der Temperatur abhängig ist. Durch die Messung bei verschiedenen Temperaturen konnte die sogenannte Aktivationsenergie für Schnee quantifiziert werden. Weiter zeigte sich, dass das mehrdimensionale Fliesskriterium für Schnee keinem der bekannten Fließmodelle entspricht, denn der Deviator nimmt mit zunehmendem Seitendruck ab. Durch die Messung der Schallemissionen konnte eine dichte- und temperaturabhängige potenzielle Beziehung zwischen Dehnungsgeschwindigkeit und maximaler SE-Aktivität identifiziert werden. Es wurde ein eindimensionales Stoffgesetz zur Beschreibung des viskoelastischen Verhaltens entwickelt. Das Stoffgesetz basiert auf der Unterteilung der totalen Dehnung in eine elastische, eine elastisch-reversible und eine viskose Komponente. Die in den Gleichungen enthaltenen Parameter wurden als Funktion der Dichte und der Temperatur bestimmt. Aufgrund der Erkenntnisse über das mehrdimensionale Fließkriterium, konnte aus dem eindimensionalen Stoffgesetz ein mehrdimensionales Stoffgesetz für kleinere Dehnungen aufgebaut werden. Anschließend konnte das vorhandene mehrdimensionale Stoffgesetz mit einem inkrementellen Ansatz zur Beschreibung des Verfestigungsverhaltens von Schnee auf größere volumetrische Stauchungen erweitert werden. Das entwickelte Stoffgesetz wurde in ein zweidimensionales instationäres FE-Modell zur Berechnung von Spannungen, Dehnungen und Dehnungsgeschwindigkeiten in der Schneedecke implementiert. Zur Beurteilung der Schneedeckenstabilität wurden Ansätze aus der Bruchmechanik an das visko-elastische Verhalten von Schnee angepasst und in das FE-Modell numerisch implementiert. Erst bruchmechanische Berechnungen, die den Einfuss der Zeit und der Temperatur auf die Schneedeckenstabilität simulieren, zeigen mit den Feldbeobachtungen übereinstimmende Ergebnisse.