Noch bis vor kurzer Zeit wurde in Fachkreisen angenommen, dass das Vorkommen von verwildertem Raps ausschließlich auf vorjährige Saatgutverluste zurückzuführen ist, und dass diese Populationen in der darauffolgenden Anbausaison wieder zur Gänze verschwinden. Mehrere Studien haben jedoch im Laufe der letzten Jahre die Persistenz dieser Populationen vor allem in seminatürlichen Habitaten sogar über mehrere Jahre bestätigt. Der Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Studie war die genetische Variation von verwildertem Raps im Vergleich zu dreizehn kommerziellen Rapssorten, die während der letzten 5 Jahre in Österreich als Hauptsorten angebaut wurden. Die Untersuchung erfolgte unter Anwendung von Mikrosatellitenanalysen. Im Gegensatz zu einer Vorläuferstudie (Pascher et al. 2000) wurde bei dieser Studie das Schwergewicht der Untersuchung auf drei österreichische Rapsanbaugebiete (Nordburgenland, Waldviertel in Niederösterreich, Innviertel in Oberösterreich) gelegt. Diese drei Anbauregionen unterscheiden sich vor allem bezüglich ihrer klimatischen Voraussetzungen. In jeder der drei Regionen wurden jeweils drei Ruderalrapspopulationen gewählt, die in einer Mindestdistanz von zehn Kilometern voreinander situiert waren. Die Standortwohl der Populationen erfolgte unter Berücksichtigung der Entfernung zu Fremdpollenquellen (Sympatrie). Als Fremdpollenquellen wurden nahe gelegene Rapsfelder, Durchwuchs oder andere Ruderalrapspopulationen erfasst. Jeweils eine der drei Populationen pro Region wurde in enger Sympatrie zu Fremdpollenquellen gewählt, die andere in isolierter Position und die Lokalität der dritten Ruderalpopulation in einer Zwischensituation. Pro Ruderalpopulation wurden junge Blätter von insg. 35 Individuen gesammelt, von denen 30 genetisch analysiert wurden. Eine Beschreibung des Habitus der untersuchten Pflanzenindividuen von jeder Population wurde durchgeführt. Detaillierte regionale Informationen über geographische, landwirtschaftliche, sowie ökologische Parameter der Aufsammlungsstellen wurden zusammengetragen. Zudem wurden landwirtschaftliche Daten über das Ausmaß der regional kultivierten Rapssorten während der letzten fünf Jahre von den zuständigen Behörden wie etwa von österreichischen Saatgutproduzenten und -verkäufern, Bezirksbauernkammern etc. bezogen. Für die Analysen der Ruderalrapspopulationen und der dreizehn Rapssorten wurden fünf Mikrosatelliten loci (Na12-A08(a) and Na12-A08(b), Na12-C06, Na12-C08 and Na12-E06a), die von vier Brassica Primern amplifiziert wurden, eingesetzt. Basierend auf den Mikrosatelliten-Daten wurde statistische Analysen mit Hilfe von populationsbiologischen Methoden durchgeführt. Auf diese Weise wurden Korrelationen zwischen der Dichte der Vegetationsbedeckung der Standorte und der genetischen Diversität der Ruderalpopulationen, genetische Distanzen und Populationsstrukturen, Genotypen-Zuordnung als auch Muster genetischer Variation untersucht. Die Standorte der neun untersuchten verwilderten Rapspopulationen waren sehr unterschiedlich und umfassten Aushubmaterial (popA, popI), eine Brache (popB), einen Straßenrand (popC), Bahngleiskörper (popD, popH), ein kleines Rinnsal im Straßengraben (popE), einen Waldrand mit Aushubmaterial (popF) und eine vor einem Bauernhof gelegene Ruderalfläche (popG). Unter Beachtung ihrer Nähe zu Transportrouten wie Hauptstraßen (popC, popE) und Bahngleiskörper (popD, popH) gingen die vier genannten Populationen voraussichtlich aus Samenverstreuung im Zuge von Transportaktivitäten hervor. Für das Aufkommen der Populationen popA, popF, popG und popI war die Bodensamenbank, die in den meisten Fällen von Samenverlusten während Transportaktivitäten beeinflusst wird, mit großer Wahrscheinlichkeit ausschlaggebend. Das heißt, Samenverluste während Nah- und Ferntransport könnten eine wichtige Rolle in der Initialphase von Ruderalrapspopulationen spielen. In allen neun Ruderalpopulationen wurde genetische Variation innerhalb der Population registriert. Drei Populationen (popB, popH, popI) zeigten eine niedrigere Allel- und Genotypenvielfalt. Innerhalb der analysierten Populationen stellte sich popI als die genetisch am wenigsten variable Population heraus. Jedoch zeigten die Individuen dieser population bemerkenswerte Unterschiede in ihrem Habitus. Die phänotypische Plastizität und das Ausmaß an Schädlingsbefall durch phytophage Insekten sind Faktoren, die einen komprimierten Habitus verursachen können. In den analysierten Ruderalpopulationen wurden Allele registriert, die nicht in den kommerziellen Rapssorten detektiert werden konnten. Es wurde allerdings nur ein kleiner Teil der gesamten molekularen Varianz (abhängig von der angewendeten Methode 1,6% oder 5,6%) zwischen der Gruppe der Ruderalrapspopulationen versus der Gruppe der kommerziellen Rapssorten festgestellt. Zudem zeigten drei der neun Populationen nähere Verwandtschaft zu bestimmten Sorten. Population A scheint von Sorte "Honk" abzustammen, popB von Sorte "Baldur" und popE von Sorte "Express". Für die Analysen wurden die dreizehn Hauptsorten, die von 2000 bis 2004 angebaut wurden, berücksichtigt. Aufgrund der langen Persistenz von Rapssamen in den Bodensamenbank könnten jedoch auch ältere Sorten, die nicht in unseren Analysen inkludiert waren, für das Entstehen einiger Ruderalpopulationen (popG, PopI) ausschlaggebend gewesen sein. Eine andere alternative Erklärung wäre, dass diese aus Sorten hervorgegangen sind, die zwar während der letzten fünf Jahre angebaut wurden, jedoch in unserer Studie nicht berücksichtigt wurden. Unsere Hypothese, dass der Sympatriegrad eine wichtige Rolle für das Ausmaß von genetischer Variation spielt, konnte für die untersuchten Population nicht verifiziert werden. Hingegen nahmen regionale Aspekte in unseren Analysen eine größeren Einfluss auf die genetische Variabilität. Das zeigte sich besonders deutlich in der vergleichsweise kältesten Region (Area 2). Die Zahl und die Anbauintensität der einzelnen Rapssorten, sowie das gesamte Ausmaß des regionalen Rapsanbaus und wahrscheinlich auch die besonderen Keimbedingungen in dieser Region sind wesentliche Faktoren dafür. Was die Untersuchung der Beeinflussung von Sympatrie betrifft, muss darauf hingewiesen werden, dass der Zeitrahmen der vorliegenden Studie nur ein Jahr umfasste. Wenn man die gesamte genetische Rapssortenvariation (sowohl die reginale als auch die zeitliche) berücksichtigen wollte, würden die vorangestellten Analysen der Sortenvariabilität bereits einige Jahre in Anspruch nehmen, bevor mit den Detailuntersuchungen der Sympatrie überhaupt begonnen werden könnte. Folglich wären Langzeitstudien erforderlich, um die unter den gegebenen Rahmenbedingungen ermittelten Ergebnisse dieser Studie im Detail abklären zu können. Die niedrigste Introgressionsrate von den kommerziellen Rapssorten zu den analysierten Ruderalpopulationen wurde für zwei Populationen (popH und popI) im Innviertel ermittelt. Region 1 ("area 1"), die pannonisch beeinflusste Region, zeigte das größte Ausmaß an Introgression. Eine Erklärung dafür wäre, dass in dieser Region die vergleichsweise meisten Rapsfelder registriert werden konnten. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die reginale Anbauintensität von Raps das Ausmaß von Introgression beeinflusst. Zudem wurden die zwei Sortenhybride "Artus" und "Baldur" in Region 1 angebaut. Da für die Saatgut-Vermehrung von Hybridsorten männlich sterile Pflanzen eingesetzt werden, besitzen Hybride im Allgemeinen ein größeres Hybridisierungspotential. Für die Produktion von genetisch modifiziertem Raps werden zumeist Hybridsorten verwendet. Unsere Daten zeigten, dass das Ausmaß von Introgression von den Rapssorten zu den verwilderten Populationen mehr als fünf Mal höher war als in reverser Richtung. Es gab allerdings auch statistische Hinweise auf Introgression von verwilderten Populationen zu den Rapssorten, obwohl zu einem geringeren Ausmaß. Im Falle einer Verwilderung von genetisch modifiziertem Raps würden die Ruderalrapspopulationen als Transgenquelle fungieren. Folglich müssen Ruderalrapspopulationen als Faktoren für unbeabsichtige GV Kontaminationen von konventionell und biologisch bewirtschafteten Rapsfeldern berücksichtigt werden. In der vorliegenden Studie war die genetische Distanz zwischen den Pflanzenindividuen der Ruderalrapspopulation popD mit der geographischen Distanz positiv korreliert. Ruderalpflanzen, die in einem Abstand von weniger als 47,6 m voneinander wuchsen, zeigten ein höheres Ausmaß an genetischer Ähnlichkeit als Pflanzenindividuen in größeren Distanzen voneinander. Demzufolge deuten die Daten darauf hin, dass Genaustausch innerhalb einer Ruderalpopulation häufiger zwischen Individuen erfolgt, die sich in unmittelbarer Nähe zueinander befinden. Die Hypothese, dass genetische Variation zwischen den Individuen von Ruderalrapspopulationen, die auf mehr oder weniger offenen Standorten wachsen, größer sein kann, wurde in unseren Analysen nicht bestätigt. Im Vergleich zu Ruderalrapspopulationen in Habitaten, in denen die Pflanzendecke schneller geschlossen wird, werden in diesem Fall die Ruderalpflanzen durch konkurrenkräftige angepasste Arten schneller verdrängt. Folglich muss Raps über eine größere Konkurrenzfähigkeit in seminatürlichen und natürlichen Lebensräumen verfügen, als man im Allgemeinen für eine Pionierpflanze annehmen würde. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die meisten der untersuchten verwilderten Rapspopulationen in ihrer Initialphase aus Saatgutverlusten während Nah- oder Ferntransporten hervorgegangen sind. Auch die Bodensamenbank wird in den meisten Fällen von derartigen Saatgutverlusten gespeist. Folglich kann der regionale Rapsanbau nicht ausschließlich für die Existenz dieser Ruderalpopulationen verantwortlich gemacht werden, sondern auch der Transport von Rapssaatgut, der lediglich für Verarbeitungsprozesse vorgesehen ist. Da nur drei Populationen nahe Verwandtschaft zu bestimmten kommerziellen Rapssorten zeigten und zudem die meisten von diesen einen hohen Grad an genetischer Variation aufwiesen, kann geschlossen werden, dass der Ursprung der analysierten Ruderalpopulationen nicht auf vorjährige Samenverlusten zurückgeht, sondern dass die Populationen bereits seit mehreren Jahren existieren. Für die ökologische Risikoanalyse von transgenem Raps bedeutet das, dass es notwendig ist, die verwilderten Rapspopulationen als unbeabsichtigte potentielle Transgen-Quelle zu berücksichtigen. Diese verwilderten Populationen kommen in Österreich sehr häufig vor. Ihre Standorte sind in vielen Fällen direkt neben Rapsfeldern lokalisiert. Im Falle einer Freisetzung von gentechnisch verändertem Raps könnten diese Populationen sowohl als Transgen-Rezeptoren als auch als Transgen-Quellen fungieren. Da die Persistenz der Ruderalrapspopulationen in seminatürlichen als auch natürlichen Habitaten in mehreren Studien bereits bestätigt werden konnte, ist zu erwarten, dass sich auch Transgene für mehrere Jahre außerhalb der Kulturfläche erhalten werden.