Die Einführung von gentechnisch veränderten Pflanzen in die Landwirtschaft ist bisher überwiegend im Hinblick auf wirtschaftliche Auswirkungen, potenzielle Beeinträchtigung der konventionellen Landwirtschaft (Koexistenz) und potenzielle Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit untersucht worden. Mögliche Auswirkungen auf ökologische Prozesse, vor allem auf deren langfristige und großskalige Implikationen wurden demgegen über viel weniger intensiv untersucht. Im Rahmen des Projekts "Abstandsregelungen beim Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen in der Nähe von Schutzgebieten" wurde untersucht, inwiefern Schutzgebiete von den Auswirkungen des Anbaus gentechnisch veränderter Pflanzen betroffen sind, und es wurden Maßnahmen bewertet, die die Auswirkungen des Anbaus von GVP auf Schutzgebiete mindern oder verhindern können. Bei den derzeit für eine Marktzulassung genehmigten oder sich im Genehmigungsverfahren befindenden GVP handelt es sich um Arten mit sehr unterschiedlichen Eigenschaften bzw. Eingenschaftskombinationen. Hierzu gehören u.a. Resistenzen gegen verschiedene herbizide Wirkstoffe, gentechnisch vermittelte Insekten- und Virusresistenzen sowie Veränderungen von Inhaltsstoffen. Die Analyse der potenziellen Umweltwirkungen muss somit hypothesenbasiert erfolgen, und zwar ausgehend von den gentechnischen Veränderungen und zu erwartenden relevanten Wirkungsketten. Zu diesem Zweck erfolgte die Fortschreibung des hypothesengeleiteten Ansatzes von Züghart & Breckling (2003), der in Bezug auf Implikationen zu Schutzgebieten spezifiziert wurde. Die potenziellen Effekte des GVP-Anbaus wirken auf den verschiedenen systemaren Organisationsebenen von molekularen Prozessen über Individuen und Populationen bis zur Landschaftsebene. Es ist daher davon auszugehen, dass Schutzgebiete und Schutzziele betroffen sein können, da die Auswirkungen des GVP-Anbaus sich nicht auf die Anbauflächen beschränken lassen. Werden die potenziellen Umweltwirkungen in Bezug zu den im BNatSchG festgeschriebenen Zielen und den Grundsätzen des Naturschutzes und der Landschaftspflege gesetzt, wird deutlich, dass im Prinzip alle Schutzgebietstypen durch den GVP-Anbau betroffen sein können. In erster Linie ergeben sich Gefährdungen für den Schutz der Biodiversität, der u.a. den Schutz der genetischen Vielfalt und den Artenschutz beinhaltet. Eine differenzierte Betrachtung der Schutzgebietstypen erfolgt im Zusammenhang mit den spezifischen Schutzzielen. Danach sind Naturschutzgebiete, die Kernzonen von Nationalparks und Biosphärenreservaten sowie geschützte Biotope und die nach europäischem Recht geschützten Natura 2000 Gebiete vorrangig vor Auswirkungen von GVO zu schützen. Ausgehend von aktuellen Anwendungsbereichen von Abstandregelungen, z.B. vorgeschriebenen Isolationsdistanzen bei der Saatgutproduktion, wurden abstandrelevante raumbezogene ökologische Interaktionen und Eigenschaften gentechnisch veränderter Pflanzen sowie Veränderungen in der landwirtschaftlichen Praxis aufgrund des GVP-Anbaus analysiert. Das Verbreitungsgebiet einer gentechnisch veränderten Art und ihrer potenziellen Kreuzungspartner, ihr Ausbreitungspotenzial sowie die Wirkungsbereiche und Reichweiten artfremder Inhaltsstoffe und deren Konzentrationen geben erste Anhaltspunkte zur Abschätzung geeigneter Abstände. Darüber hinaus müssen die Aktionsradien geschützter Arten, die nicht auf die unter Schutz stehenden Flächen beschränkt sind, sowie Veränderungen in der landwirtschaftlichen Praxis aufgrund des GVP-Anbaus betrachtet werden. Auf der Basis raumzeitlicher Interaktionen wurden je nach Art und genetischer Modifikation unterschiedliche GVP-Typen definiert, deren Charakteristik bei der Ermittlung von Abständen helfen können: Eine erste Gruppe besteht aus GVP, deren ökologische Auswirkungen sich auf die Anbauflächen beschränken und darüber hinaus kein Gefährdungspotenzial bergen. Sie sind beispielsweise männlich steril oder gelangen in Mitteleuropa nicht zur Blüte, sind Frost empfindlich und entfalten keine toxischen Wirkungen. Diese Arten des sogenannten Invarianztyps erscheinen im Kontext der Auswirkungen auf Schutzgebiete unproblematisch, soweit nicht davon auszugehen ist, dass sie den ökologischen Konnex signifikant verändern. Ein vergleichsweise geringes Einwirkungspotenzial lässt sich auch den Arten des Persistenztyps (z.B. in ihrem Kohlenhydratspektrum veränderten Kartoffeln) beimessen, deren Wirkungen auf den Naturhaushalt primär. Sie besitzen aber das Potenzial, als Durchwuchs längere Zeit auf den Anbauflächen zu persistieren und können deshalb Probleme der Vermischung mit andereen Kulturarten aufwerfen, was aber Naturschutzbelange überwiegend sekundär berührt. Eine weitere Gruppe bilden diejenigen Arten, deren Anbau ein potenzielles Risiko für den Naturhaushalt außerhalb der Anbauflächen darstellt, das aber räumlich eingrenzbar ist. Sie werden hier als Emissionstyp bezeichnet. Wesentliche Charakteristika dieses Typs sind zum einen ähnlich wie bei Pflanzen des Persistentyps, sie kommen jedoch nicht dauerhalb außerhalb der Ackerflächen vor. Zusätzlich erfolgt jedoch eine Abgabe von potenziell toxischen Substanzen an die Umgebung, deren Konzentrationen mit der Entfernung zur Quelle abnehmen oder sich auf spezifischen Pfaden verfolgen lassen. Die Auswirkungen dieser Pflanzen lassen sich mit einer klassischen Risikoanalyse (ähnlich z.B. bei Chemikalien) untersuchen. B.t.-Mais lässt sich diesem Typ zuordnen. Als besonders problematisch sind die Arten des Dispersionstyps einzustufen. Diese persistieren über längere Zeit, bilden außerhalb von Kulturflächen eigenständige Populationen und besitzen Hybridisierungsmöglichkeiten mit weiteren in der Umgebung vorkommenden Pflanzen. Aufgrund ihrer eigendynamischen Vermehrung und Ausbreitung können diese Pflanzen, bzw. die eingeführten Genkonstrukte, nicht in ihren Umweltwirkungen beschränkt werden. Sie lassen sich nicht durch Abstandregelungen begrenzen, und die relevanten Umweltinteraktionen lassen sich nicht mit einer klassischen Risikoanalyse erfassen, sondern erfordern darüber hinausgehende Abschätzungen ihres Selbstorganisationspotenzials. Die dargestellte Typisierung versteht sich als Ausgangspunkt zur ersten Beurteilung des Gefährdungspotenzials von GVP und sollte der Analyse von Auswirkungen auf Schutzgebiete zusammen mit einer artspezifischen Einschätzung der Umweltinteraktionen zu grunde gelegt werden. Anhand der Fallbeispiele B.t.-Mais und HR-Raps wurden die vorangestellten Überlegungen konkretisiert. Bei B.t.-Mais ist das primäre Gefährdungspotenzial in der sortenspezifischen Emission von auf Insekten toxisch wirkenden Pollen zu sehen. HR-Raps dagegen verfügt über ein Ausbreitungs- und Auskreuzungspotenzial, das weit über die Anbauflächen hinaus reicht. Da der Fokus des Projekts auf der Untersuchung der Zweckmäßigkeit von Abstandsregelungen lag, wurde die räumliche Konfiguration von Schutzgebieten in Relation zu Umweltfaktoren, zur Landschaftsstruktur und agrarischen Nutzung der umgebenden Pufferzone in die Evaluierung einbezogen. Die in einem Geografischen Informationssystem (GIS) durchgeführte, geostatische Analyse ist eine Grundlage der exemplarischen Modellanwendungen an ausgewählten Schutzgebieten in Schleswig-Holstein, um die raum-zeitliche Ausbreitung von Rapstransgenen in Abhängigkeit unterschiedlich breiter Schutzzonen zu untersuchen.
907.1 (Natur- und Landschaftsschutz) 165.3 (Allgemeines über Vererbung, Genetik und Züchtung, Variation [Praktische Anwendung siehe 232.13 und 232.311.3])