Im Frühjahr 1997 wurde von der Abteilung Forstwirtschaft des Amtes für Forstplanung der Autonomen Provinz Bozen/Südtirol ein Projekt in Auftrag gegeben, das die Erfassung der Naturnähe von Südtirols Wäldern analysieren sollte. Beauftragt wurden die Forschungsgruppe Wald (Abteilung für Vegetationsökologie und Naturschutzforschung, Universität Wien) und das Institut für Waldbau (Universität für Bodenkultur), wobei sich die angewandten Methoden an das Projekt "Hemerobie Österreichischer Waldökosysteme" nach Grabherr et al. (1998) anlehnen sollten. Die Felderhebungen wurden in der Vegetationsperiode von 1997 auf den Rasterpunkten der italienisch nationalen Forstinventur (IFNI) durchgeführt, wobei ca. 70 Einzelparameter (gesamte Vegetation, Bestandesmerkmale, Standortsmerkmale, anthropogene Einflüsse, Totholz, usw.) erhoben wurden. Die Einzelkriterien wurden in einem Relativwert auf einer Skala von 1-9 transformiert und über Kriteriengewichte zu einem Hemerobiewert aggregiert. Das Ziel der vorliegenden Arbeit war es, die berechneten Ergebnisse auszuwerten und zu analysieren, sowie die Bewertungsmethoden und Berechnungsvorschriften der Hemerobiestudie darzustellen und in Beispielen abzuhandeln. Weiters wurden Ursachen für das Zustandeskommen der Hemerobiewerte für Südtirol herausgearbeitet und interpretiert. Das Gesamtergebnis der Hemerobiestudie weist für Südtirol 5% natürliche, 30% naturnahe, 31% mäßig veränderte, 22% stark veränderte und 2% künstliche Aufnahmen aus. Dieses Ergebnis ist durchwegs positiv, doch immerhin fast ein Viertel der Wälder Südtirols sind stark durch den anthropogenen Einfluß geprägt. Bei der Gliederung der Hemerobiewerte nach Straten (wie Inspektorate, Höhenstufen) konnten keine signifikanten Unterschiede bezüglich der mittleren Hemerobiewerte festgestellt werden. Auch die Waldgruppen unterscheiden sich bis auf die Gruppe der Latschen- und Buschgesellschaften hinsichtlich ihres mittleren Hemerobiewertes nicht signifikant voneinander. Die Latschen- und Buschgesellschaften weisen den höchsten mittleren Hemerobiewert und somit die geringsten anthropogenen Einflüsse auf. Stellt man der Gesamtaufnahmehäufigkeit einer Waldgruppe ihre Häufigkeit an naturnahen und natürlichen Aufnahmen gegenüber, so ist bei ausreichender Aufnahmehäufigkeit das Ergebnis ein "Naturnäheindex", der die Natürlichkeit einer Waldgruppe darstellen kann. Die Untersuchung der Relativwerte zeigte, daß die Baumarten und die Bodenvegetation eine sehr hohe Naturnähe aufweisen und den stärkeren Einfluß der Nutzungen kompensieren. Bei den verschiedenen Nutzungsformen ist erkennbar, daß die forstliche Endnutzung die häufigste Nutzungsart darstellt. Die Intensität mit der diese Nutzung durchgeführt wird, ist aber zum Großteil schwach (Einzelstammmutzungen, femelartige Eingriffe). Hohe Aufnahmehäufigkeiten weist auch die Beweidung auf, jedoch liegen 57% dieser Aufnahmen nutzungsgeschichtlich gesehen im historischen Bereich, also mehr als 30 Jahre zurück. Faßt man die forstlichen Nutzungen (forstliche Endnutzung, forstliche Vornutzung, Bodenbearbeitung) und die nicht forstlichen Nutzungen (Beweidung, Schneitelung/Streunutzung, Wildeinfluss, Tourismus und Sonstiges) zu Gruppen zusammen, so stellt sich heraus, daß die forstlichen Nutzungen im Durchschnitt nicht so intensiv erfolgen, wie nicht forstliche Nutzungen. Auch bei der Analyse der im mäßig veränderten Bereich liegenden Aufnahmen ergab sich ein ähnliches Ergebnis.