Eine aus vier Inzuchtlinien hervorgegangene Laborpopulation von Drosophila melanogaster wurde verschiedenen Arten künstlicher Auslese unterworfen. Mit der mikroskopischen Untersuchung der Chromosomen wurde geprüft, wie sich die Populationen unter dem Einfluß von gerichteter, disruptiver und stabilisierender Selektion, bei "klinaler" Auslese und unter verschiedenen Temperaturen verändert haben. Die Ergebnisse haben gezeigt, daß in den untersuchten Stichproben während der Versuchsdauer keine sichtbaren Strukturumbauten aufgetreten sind. In auffälliger Weise unterschieden sich die Populationen durch den Besitz oder das Fehlen von Telomeren an den distalen Enden der Chromosomenarme 3L und 3R. Es wurden in unterschiedlicher Häufigkeit Larven mit zwei, mit einem oder mit keinem Telomer gefunden. Besitz und Fehlen von Telomeren ist mit dem Auftreten verschiedener Genotypen gleichzusetzen. Die beobachteten Häufigkeiten entsprachen in der Regel denen beim Hardy-Weinberg-Gleichgewicht zu erwartenden. Die Versuchsergebnisse haben gezeigt, daß die Häufigkeit des Auftretens von Telomeren an dem distalen Ende des Chromosomenarms 3R von der Art und der Richtung der Auslese beeinflußt wird. In den Populationen, die auf kurze Entwicklungszeit ausgelesen wurden, konnten nur wenig Larven mit zwei Telomeren gefunden werden, während bei den auf lange Entwicklungszeit ausgelesenen Populationen die Zahl der Larven mit zwei Telomeren zunahm. Die Untersuchung von Stichproben der stabilisierenden Auslese aus verschiedenen Generationen zeigte, daß hier mit zunehmender Selektion der Anteil der Larven mit zwei Telomeren an 3R steigt, jedoch nach Aussetzen der Selektion innerhalb eines halben Jahres wieder auf die Hälfte zurückgeht. Die Prüfung der unter verschiedenen Temperaturen gehaltenen Populationen brachte das Ergebnis, daß die Häufigkeit der Larven mit zwei Telomeren bei niedrigen Temperaturen gering ist, bei hohen Temperaturen jedoch erheblich zunimmt. Die Untersuchungsergebnisse der "Populationen mit Genaustausch" bestätigen, daß tatsächlich ein effektiver Austausch der Genotypen zwischen niedrigen und hohen Aufzuchttemperaturen stattgefunden hat. Ein Vergleich der zu verschiedenen Zeiten abgeleiteten Selektionsversuche (Schweden und Schmalenbeck) zeigt durch die ähnlichen Ergebnisse, daß Selektion direkt die Häufigkeit der Telomeren beeinflußt. Die Untersuchungsergebnisse lassen den Schluß zu, daß das Vorhandensein und Fehlen von Telomeren Bestandteil der genetischen Variabilität der Population ist, und daß die Telomeren der Auslese direkt Ansatzpunkte liefern. Die Beziehung dieser Befunde zu Meinungen anderer Autoren über Aufgaben und Struktur der Telomeren werden diskutiert.