Der Winter 1998/99 war in vielen Beziehungen ausserordentlich. Drei kurz aufeinanderfolgende Niederschlagsperioden, begleitet von stürmischen Nordwestwinden, brachten den Schweizer Alpen zwischen dem 27. Januar und dem 25. Februar 1999 enorme Schneemengen. In den rund 30 Tagen fielen insbesondere am Alpennordhang verbreitet mehr als 500 cm Schnee, d.h. mehr als die sonst üblichen Neuschneesummen für den ganzen Winter. Im zentralen Berner Oberland und in den angrenzenden Gebieten entsprach die 30-tägige Neuschneesumme einer Wiederkehrdauer von 80-100 Jahren. In weiten Teilen des Wallis, in Nordbünden und im Unterengadin fielen mehr als 300 cm Schnee, was eine Wiederkehrdauer von rund 40 Jahren bedeutet. Die Folge der aussergewöhnlichen Schneefälle war eine grossräumige, sehr intensive Lawinenaktivität. Gesamthaft sind in den Schweizer Alpen im Winter 1998/99 rund 1'200 Schadenlawinen niedergegangen. Die Anzahl der Lawinenabgänge erreichte ihren Höhepunkt jeweils in zeitlicher Übereinstimmung mit den drei Starkschneefallperioden um den 29. Januar, 9. Februar und 22. Februar 1999. Hauptursache für die grossen Lawinenniedergänge waren die über fast einen Monat anhaltenden Schneefälle bei eher tiefen Temperaturen. Starke Nordwestwinde führten zu umfangreichen Triebschneeansammlungen und verschärften die Sutuation zusätzlich. Die Stabilität der Schneedecke war zudem nur mässig. Durch die Kombination dieser Effekte und einen markanten Temperaturanstieg kam es vom 20.-23. Februar zur grössten Lawinenaktivität des Winters. Stark betroffen war der gesamte Alpennordhang sowie weite Teile des Wallis und von Graubünden. Sehr hohe Lawinenaktivität trat vor allem im Mattertal, Lötschental, Goms, Haslital, Uri, im Glarnerland sowie in der Gegend von Klosters über Davos bis Zernez auf. Zum ersten Mal seit der Einführung der einheitlichen europäischen Lawinengefahrenskala 1993 kamen im Februar 1999 über längere Zeit die zwei höchsten Gefahrenstufen zur Anwendung, wobei an sechs Tagen die höchste Stufe "sehr gross" prognostiziert wurde. Mitte April 1999 stieg die Lawinengefahr im Gotthardgebiet und an östlichen Alpenhauptkamm noch einmal stark an. Etwa alle zehn Jahre tritt in den Schweizer Alpen eine verstärkte Lawinenaktivität auf, die grössere Personen- und Sachschäden zur Folge hat. Im bislang schwersten Lawinenwinter des 20. Jahrhunderts, im Winter 1950/51, kamen insgesamt 98 Personen ums Leben, davon allein 73 in Gebäuden. Im Februar 1999 wurden insgesamt 28 Personen im besiedelten Gebiet oder auf Straßen von Lawinen erfasst, wobei 17 Personen starben, davon elf Personen in Gebäuden. Im Verhältnis zur grossen Lawinenaktivität und im Vergleich zu früheren Lawinenwintern ist diese Zahl relativ klein, obwohl sich vor allem wegen der zunehmenden Entwicklung der Freizeit- und Tourismusaktivitäten bedeutend mehr Personen in den Bergregionen aufgehalten haben als früher. Im Winter 1999 waren vor allem Verkehrsverbindungen betroffen. Durch die starke Entwicklung im Alpenraum haben unterbrochene Verkehrsachsen, Elektrizitäts- und Kommunikationsverbindungen viel weitreichendere Konsequenzen als noch vor 50 Jahren und müssen daher entsprechend gewichtet werden. Im Laufe des Winters 1998/99 sind bei Freizeitaktivitäten im touristischen Bereich bei 77 Lawinenabgängen zusätzlich 131 Schneesportler erfasst worden wovon 19 Personen ums Leben kamen. Zu 17 Todesopfern durch Katastrophenlawinen kommen hohe Sachschäden von über 600 Mio. Franken hinzu. Die direkten Schäden, entstanden durch die Einwirkung von Lawinen, Schneedruck und Schneelast betragen rund 440 Mio. Franken. Die indirekten Schäden als Summe von Einbussen im Tourismus, Einnahmenausfällen bei Gewerbe, Industrie, Kraftwerken und Kosten durch Unterbrüche im Verkehr auf Strasse und Schiene betragen rund 180 Mio. Franken. Mit über 600 Mio. Franken sind die Schadenkosten aus dem Lawinenwinter 1999 sehr hoch. Dabei muss jedoch beachtet werden, dass das Schadenausmass ohne die in den vergangenen Jahrzehnten getroffenen Massnahmen um ein Vielfaches höher gelegen hätte. Zwischen 1951 und heute wurden pro Jahr rund 10 km Stützwerke gebaut. In den letzten 50 Jahren wurden rund 1.5 Mia. Franken für den baulichen Lawinenschutz investiert. Im Rahmen des integralen Lawinenschutzes werden seit 1951 zunehmend auch kurzfristige, situationsspezifische Massnahmen wie Strassensperrungen, Evakuierungen, künstliche Lawineneauslösung und eine verbesserte Lawinenwarnung angewendet. Die jährlichen finanziellen Aufwendungen von forstlich subventionierten Projekten kulminierten 1990 bei rund 70 Mio. Franken und haben sich seitdem bei rund 40-50 Mio. Franken pro Jahr eingependelt. Eine wichtige Rolle, sowohl in der Prävention als auch in der akuten Situation, spielen die organisatorischen Massnahmen. Aufgrund der föderalistischen Struktur der Schweiz sind die organisatorischen Massnahmen auf kantonaler und kommunaler Ebene unterschiedlich geregelt. Die notwendigen Informationen erhalten Behörden und Öffentlichkeit über die Warnprodukte des Eidgenössischen Institutes für Schnee- und Lawinenforschung (SLF), Davos. Der Lawinenwarndienst des Institutes stützt sich für seine Arbeit auf Messungen und Berechnungen mit Daten von rund 70 automatischen Stationen (IMIS-Messnetz), auf Beobachtungen und Messungen von rund 80 SLF-Beobachtern, auf Schneeprofile, Messungen und Unterlagen der SMA MeteoSchweiz und des Deutschen Wetterdienstes sowie auf Rückmeldungen lokaler Lawinenspezialisten, Bergführer, Sicherheitsverantwortlicher und Skitouristen ab. Im Winter 1999 wurde erstmals an insgesamt sechs Zeitpunkten die Frühwarnung "Schnee und Lawinengefahr" herausgegeben. Dabei handelt es sich um eine drei Tage im voraus abgegebene Warnung vor massiven Schneefällen und entsprechender Lawinenaktivität. Zusätzlich zum nationalen Lawinenbulletin wurden für die Regionen Zentralschweiz sowie Nord- und Mittelbünden regionale Lawinenbulletins veröffentlicht. Eine Stärken- und Schwächenanalyse für die Lawinenwarnung des SLF und das Krisenmanagement in den fünf am meisten betroffenen Kantonen hat gezeigt, dass sich der Grundsatz der Subsidiarität bei den organisatorischen Massnahmen zur Bewältigung der aussergewöhnlichen Situation bewährt hat. Trotz allem müssen in diesem Bereich noch weitere Verbesserungen angestrebt werden. Zum Beispiel ist der Ausbildungsstand der einzelnen Kommissionen und der Umgang mit Entscheidungshilfen wie InfoBox. NXD2000 sowie die Abdeckung mit IMIS-Stationen noch sehr unterschiedlich und muss angeglichen werden. Aus diesen Analysen lässt sich ableiten, dass erstens ein flächendeckendes Netz von lokalen Lawinenspezialisten aufgebaut und zweitens ein Frühwarn- und Informationssystem entwickelt werden muss. Letzteres soll den Informationsaustausch zwischen den zahlreichen Entscheidungs- und Informationsträger gewährleisten und auch die Öffentlichkeit mit Informationen versorgen. Dieses Sysstem kann auch für die Bewältigung anderer Katastrophensituationen wie z.B. Hochwasser, Stürme eingesetzt werden. In einem kleinen Land mit hoher Bevölkerungsdichte wie der Schweiz, kommt der Raumplanung im Umgang mit Naturgefahren eine bedeutende Funktion zu. Die Analyse der Umsetzung von Lawinengefahrenkarten in die Richt- und Nutzungsplanung zeigt einige Defizite und Unterschiede zwischen den Kantonen. In einigen potentiell gefährdeten Gemeinden fehlen verbindliche Lawinengefahrenkarten. Auch das Führen eines Lawinenkatasters ist noch nicht in allen Kantonen sichergestellt. Die Analyse der Schäden z.B. für den Kanton Wallis ergab, dass insgesamt zehn Gebäude in roten und 109 in blauen oder gelben Gebieten der Lawinengefahrenkarten betroffen waren. Allgemein wurden die Lawinenkataster und -gefahrenkarten auch als wichtige Grundlage zur Planung von Sperrungen und Evakuationen eingesetzt. Über die zum Teil sehr grossen Anrissmächtigkeiten der Lawinen liegen nur verienzelt quantitative Informationen vor. Viele Lawinen hatten auch enorme Anrissbreiten, die häufig dem gesamten potentiellen Anrissgebiet entsprachen. Dies führte vor allem um den 20. Februar 1999 zu Überschreitungen der Grenzen von bestehenden Lawinengefahrenkarten. Insbesondere der Staubanteil übertraf in vielen Fällen die Zonengrenzen. Zu klein dimensionierte oder bereits hinterfüllte Ablenkdämme wurden zudem von nachfolgenden Lawinen überflossen. Solche Mehrfachniedergänge müssen bei der Gefahrenabschätzung und der Massnahmenplanung zukünftig beachtet werden. Auch wenn sich die planerischen Massnahmen insgesamt bewährt haben, zeigt die Analyse einen klaren Forschungsbedarf für die lawinendynamische Berechnung von Fliess- und insbesondere kombinierten Fliess- und Staublawinen auf. An künstlich ausgelösten Grosslawinen konnten im SLF-Versuchsgelände Vallée de la Sionne (Kanton Wallis) Messungen zur Lawinendynamik durchgeführt werden. Mit Doppler-Raarmessungen wurden Geschwindigkeiten an der Front der Lawine von bis zu 80 m/s und in der Lawine bis 110 m/s ermittelt. Diese Messungen machen deutlich, dass die Geschwindigkeiten in der Sturzbahn bislang unterschätzt wurden. Die Versuche ermöglichen erstmals die Validierung von Computermodellen, die am SLF in Entwicklung sind. Durch sehr viele Untersuchungen von Verwehungs-, Anriss- und Ablenkverbauungen, Auffangdämmen und Galerien im Winter 1999 konnten zahlreiche Erkenntnisse gewonnen werden. Aus Stützverbauungen sind keine grösseren Lawinen angebrochen, sie haben sich sehr gut bewährt. Obwohl in vielen Fällen praktisch völlig eingeschneit, haben sie der hohen Belastung standgehalten. Die Schäden sind mit 8 Mio. Franken relativ gering und entstanden vor allem dort, wo die Stützwerke von Lawinen überflossen wurden. Für Werke am Rand einer Verbuaung und für solche in Gebieten mit starkem Schneegleiten wurde festgestellt, dass die Kräfte gemäss Richtlinien (BUWAL/WSL, 1990) eher knapp bemessen sind und eventuell zukünftig erhöhte Seitenlasten berücksichtigt werden, wie die Wirksamkeit von Verbauungen und die Restgefä
384.1 (Verbauungen gegen Lawinen, Erdrutsche usw.) 423.5 (Lawinen) 116.12 (Ablagerung und Verteilung des Schnees (einschl. Wirkungen auf die Bodentemperatur usw.)) 627.1 (Schutzwaldungen) [494] (Schweiz)