Das Niederschlags-/Abflussmodell ZEMOKOST : Entwicklung eines praktikablen Modells zur Ermittlung von Hochwasserabflüssen in Wildbacheinzugsgebieten unter Einbeziehung verbesserter Felddaten : Dissertation; Universität Innsbruck, Fakultät für Geo- und Atmosphärenwissenschaften
Das in dieser Arbeit beschriebene Modell ZEMOKOST (ZEller modifiziert nach KOhl und STepanek) ist ein ereignisbasiertes, konzeptuelles, teilflachenbasiertes Niederschlag/Abfluss-Modell (N/A-Modell) zur Abschatzung von Hochwasserabflussen in unbeobachteten Wildbacheinzugsgebieten.
Fast alle Wildbacheinzugsgebiete in Osterreich sind unbeobachtet, das heist es existieren dort keine kontinuierlichen Abflussmessungen. Um Hochwasserabflusse in solchen unbeobachteten Einzugsgebieten abzuschatzen, sind ereignisbasierte Modelle oft von Vorteil. Kontinuierliche N/A-Modelle, zumeist Wasserbilanzmodelle, kommen zu diesem Zweck eher selten zur Anwendung, weil Abflussdaten zur Kalibrierung und Validierung fehlen.
Im ereignisbasierten Modell erzeugt ein Niederschlagsereignis definierter Jahrlichkeit (Bemessungsniederschlag) unter festgelegten Randbedingungen eine Hochwasserspitze. Da dem Niederschlag und seiner Variabilitat (Intensitat, Dauer, raumliche Abminderung, Verlauf, etc.) fur die N/A-Modellierung als treibende Grose eine entscheidende Rolle zukommt, wurde er in dieser Arbeit in einem eigenen Kapitel behandelt. In ZEMOKOST wurde eine moglichst einfache, praktikable Eingabe von Bemessungsniederschlagen, die fur ganz Osterreich online verfugbar sind, umgesetzt. Es wurde eine Reihe von Empfehlungen hinsichtlich der Verwendung unterschiedlicher Bemessungsniederschlage und raumlicher Abminderungsszenarien, bezogen auf die zu bearbeitende Einzugsgebietsgrose, erarbeitet.
Bei der Entstehung von Hochwasserereignissen uberlagern sich meist mehrere ungunstige Randbedingungen. Die Vorbefeuchtung kann im Modell ZEMOKOST vom Anwender uber einen Systemzustandsindex variiert werden, ist jedoch fur die Bemessungsmodellierung standardmasig auf einen realistisch schlechten Systemzustand justiert. Die Grundlagen dafur wurden aus einer grosen Zahl an Beregnungsversuchen am Institut fur Naturgefahren in Innsbruck abgeleitet.
ZEMOKOST ist ein konzeptuelles Modell und wurde auf der Basis des Ansatzes von Zeller (1974) entwickelt, mit dem Ziel grostmoglicher Praktikabilitat und unter Einbeziehung verbesserten und nachvollziehbar zu erhebender Felddaten. Grundbaustein dieses Ansatzes ist das Abflussbeiwertkonzept, dessen raumliche Umsetzung auf Teileinzugsgebietsebene erfolgt. Hydrotopen (hydrologisch homogenen Vegetations-/Bodenkomplexen) werden Abflussbeiwerte und Oberflachenrauigkeiten zugeordnet, woraus der Oberflachenabfluss und seine Laufzeit berechnet werden. Wiederum bildete der grose Datenpool an Regensimulationen die Grundlage fur die verbesserte und nachvollziehbare Abschatzung dieser Parameter. Die Methodik dazu wurde in einer Gelandeanleitung von Markart et al. (2004) beschrieben.
Eine wesentliche Modifikation zum Laufzeitverfahren von Zeller ist die Moglichkeit raschen, oberflachennahen Zwischenabfluss im Modell ZEMOKOST zu berucksichtigen. Die Abflussbildung im Untergrund wurde dabei als grobe Naherung in Anlehnung an den Oberflachenabfluss umgesetzt.
Fur die Berechnung der Gerinnelaufzeit wurde, in Abanderung des Verfahrens von Zeller, das Konzept nach Manning-Strickler durch jenes von Rickenmann (1996) ersetzt. Praktikabler-weise reduzieren sich dadurch die notwendigen Gerinneparameter auf Flieslange, Pauschalgefalle und den Korndurchmesser d90.
Als weiterer Baustein im Modellkonzept kann in ZEMOKOST optional naturliche Retention und Dampfung in Zwischenspeichern mit in die Abflussberechnung integriert werden.
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Weitere Optionen sind die Berucksichtigung von Ruckhalte- und Stauraumen, Basisabfluss, Zu- und Ableitungen sowie Schneeschmelze. Es liegt im Ermessen des Bearbeiters zu entscheiden, inwieweit solche Prozesse im speziellen Einzugsgebiet fur die Entstehung von Hochwasserspitzen masgeblich sind.
ZEMOKOST dient, wie erwahnt, in erster Linie zur Abschatzung von Hochwasserabflussen in unbeobachteten Wildbacheinzugsgebieten. Wesentlicher Bestandteil des Modells ist daher die Routine zur Berechnung des Bemessungshochwassers einer definierten Jahrlichkeit. Die Rechenroutine ist dabei losgelost von der Vorstellung, dass nur jene Regendauer, die der Konzentrationszeit entspricht, die groste Hochwasserspitze erzeugen kann. Das Programm berechnet aus den ihm zur Verfugung stehenden Dauerstufen der Bemessungsniederschlage das groste Hochwasser automatisch. Der resultierende kritische Niederschlag kann der Konzentrationszeit entsprechen, muss aber nicht.
Nachdem in unbeobachteten Einzugsgebieten per definitionem die Kalibrierung von Modell-parametern und die Validierung der Modellergebnisse nicht moglich sind, muss bei der N/A-Modellierung solcher Gebiete der Plausibilisierung ein hoher Stellenwert eingeraumt werden. Es empfiehlt sich diese auf vier Saulen zu grunden:
h auf die Ereignischronik
h auf gemessene / beobachtete, aktuelle sowie geschatzte, maximale Durchflusse an masgeblichen Profilen
h auf den Vergleich mit benachbarten beobachteten Einzugsgebieten und die Regionalisierung solcher Ergebnisse
h sowie auf den Vergleich mit empirischen Formelansatzen.
Die Entwicklung des Modelles war und ist ein laufender Prozess uber Jahre. Erste Erfahrungen in der praktischen Anwendung der Laufzeitmethode nach Zeller wurden von Stepanek et al. 2002 und 2004 veroffentlicht.
Von universitarer Seite bot sich in den letzten Jahren mehrfach die Moglichkeit das Modell in diversen hydrologischen Fragestellungen einzusetzen und zu testen, beispielsweise an der Montanuniversitat Leoben (Ressel 2006) oder an der Universitat fur Bodenkultur (Totschnig 2007, Kollersberger 2009). An der Universitat Graz uberprufte Stoffler (2007) die Eignung des Niederschlags-Abflussmoduls ZEMOKOST zur Abschatzung von Hochwasserwerten anhand von Beispielen in der Steiermark. Stoffler kommt in seiner Arbeit zum Schluss, dass einer Anwendung des N/A-Modells ZEMOKOST in unbeobachteten Einzugsgebieten nichts im Wege steht. An der Universitat Bern wurde das kombinierte Verfahren Abflussbeiwert-schatzung nach der Gelandeanleitung und N/A-Modellierung ZEMOKOST evaluiert (Hemund 2008, Hemund et al. 2010). Dabei erwies sich die Methode Gelandeanleitung / ZEMOKOST in schweizerischen Einzugsgebieten als ebenso geeignet wie in den Ostalpen, wo sie ursprunglich entwickelt wurde. Dobmann (2009) verglich in ihrer Arbeit zur Hochwasserabschatzung in kleinen Einzugsgebieten der Schweiz die Methoden HAKESCH und ZEMOKOST. Dobmann merkt bei ihrem Vergleich an, dass beide Methoden meist zu vergleichbaren Spitzenabflussen fuhren.
Das Projekt "HOWATI - Hochwasser Tirol" bot die Moglichkeit an zehn Einzugsgebieten Tirols die N/A-Modellierung ZEMOKOST mit Ergebnissen der Hochwasserstatistik und jenen kontinuierlicher Modellierung zu vergleichen. Die Ergebnisse zeigen, dass in fast allen Einzugsgebieten eine Annaherung der beiden Methoden zur Bestimmung von
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Bemessungshochwasserwerten, Pegelauswertung und N/A-Modellierung (Bemessung unbeobachteter Einzugsgebiete ¡V ZEMOKOST), erzielt werden konnte. Unter Anderem durch die Implementierung einer starkeren raumlichen Abminderung des Niederschlags in ZEMOKOST, was vor allem bei groseren Wildbacheinzugsgebieten zu plausibel geringeren Bemessungsregen fuhrt. Die mittels Monte Carlo Simulation auf einen Zeitraum von 10.000 Jahren extrapolierte kontinuierliche N/A-Modellierung an der TU-Wien (Rogger et al. 2009) zeigte, dass die Hochwasserbemessung aus Pegelauswertungen und deren Regionalisierung fur den Wildbachbereich bisher meist zu geringe Werte lieferte. Die Resultate bringen uns dem Ziel der Harmonisierung der Bemessungsmethoden einen bedeutenden Schritt naher. Es konnte gezeigt werden, dass die Bemessungsmodellierung mit dem N/A-Modell ZEMOKOST praxisgerecht und nachvollziehbar zu plausiblen Ergebnissen fuhrt.
Schwierigkeiten und grosere Unsicherheiten treten dort auf, wo Abflussprozesse nur sehr ungenau angesprochen werden konnen (Gletscherabfluss, Interflow, piston-flow, etc.). Vor allem in Bezug auf eine praktikable Parametrisierbarkeit solcher Prozesse besteht ein groser Forschungsbedarf. Wie auch an anderen Institutionen wird am Institut fur Naturgefahren des BFW in Innsbruck aktuell an der Losung solcher Fragestellungen gearbeitet.
Weiters sind einfache, praktikable Hilfswerkzeuge, die mit dem N/A-Modell ZEMOKOST verknupft werden konnen in Ausarbeitung. Beispielsweise ein Tool zur Berechnung kunstlicher Stauraume (Retentionsbecken) oder ein solches fur die grobe Abschatzung des Geschiebetransports.
In der Praxis wenden bereits viele Experten des forsttechnischen Dienstes fur Wildbach- und Lawinenverbauung, zahlreiche Ingenieurburos und Ziviltechniker sowie Hochschulen das Modell ZEMOKOST an.