Die relative Kronenlänge als Steuerungsparameter des Einzelbaumwachstums der Fichte : Dissertation, Technischen Universität München, Fakultät Wissenschaftszentrum Weihenstephan für Ernährung, Landnutzung und Umwelt
Mit der Untersuchung der relativen Kronenlänge als Steuerungsparameter des Einzelbaumwachstums der Fichte (Picea abies [L.] Karst.) soll ein Beitrag zur praktischen Umsetzung moderner Waldbaukonzepte geleistet werden. Diese Konzepte streben über stabile Einzel¬bäume die Überführung bisheriger altersklassengeprägter Reinbestände in strukturreichere Bestände mit höherer gesamtbetrieblicher Stabilität und Flexibilität an. Die vorliegende Arbeit ist in das Kooperationsprojekt „Zukunftsorientierte Fichtenwirtschaft“ (ZFW) eingebunden. Auf Einzelbaumebene wurde Durchmesserzuwachs und h/d-Wert-Entwicklung in Abhängigkeit der relativen Kronenlänge und der Konkurrenz untersucht sowie die Ent¬wicklung der relativen Kronenlänge selbst in Abhängigkeit ihrer Ausgangsgröße und der Konkurrenz analysiert. Die Untersuchung wurde als praxisnahe Fallstudie nach einem retrospektiven Ansatz durchgeführt. Das Untersuchungsmaterial wurde aus einem gleichaltrigen 57jährigen Fichtenreinbestand am Südabfall des Thüringer Waldes gewonnen. Der Bestand entspricht in etwa mittleren Thüringer Verhältnissen. Als Besonderheit weist er als Folge eines Schneebruchereignisses aus dem Jahr 1981 hohe Spannweiten an Einzelbaumparameter wie z. B. der relativen Kronenlänge auf. Mit einem zweistufigen Stichprobenkonzept wurden 63 Fichten mit einer relativen Kronen¬länge von 29 bis 75 % (im Mittel 53 %) und Brusthöhendurchmessern zwischen 14 und 59 cm (im Mittel 30 cm) ausgewählt. Die Fichten wurden stehend vermessen und anschließend für die Durchführung von Stammanalysen und der Rekonstruktion der Kronenlängenentwicklung eingeschlagen. Die Konkurrenz wurde insbesondere auf Basis des Area-Potentially-Availabe-Index (APA) sowie mit einem neu entwickelten Parameter als Anteil des nicht durch Konkurrenten bedrängten freien Kronenumfangs (FU) erfasst. Das Wachstum und die Konkurrenzsituation der 63 Fichten wurden für einen 20jährigen Untersuchungszeitraum rekonstruiert. Einen methodischen Schwerpunkt bildete die Rekonstruktion der relativen Kronenlänge über das PRESSLERsche Gesetz. Die der Datenanalyse zugrunde liegenden Nullhypothesen wurden mit multiplen Regressionsanalysen getestet. Der mittlere jährliche Durchmesserzuwachs der untersuchten Bäume beträgt im Beobachtungszeitraum 1,9 bis 11,0 mm*Jahr-1. Die höchsten Durchmesserzuwächse haben die Bäume mit den größten relativen Kronenlängen und der geringsten Konkurrenz. Mit einem Zwei-Variablen-Modell aus relativer Kronenlänge und Konkurrenz (APA, FU) können 75 bzw. 73 % der Streuung des mittleren jährlichen Durchmesserzuwachses erklärt werden. Die relative Kronenlänge beeinflusst den Durchmesserzuwachs stärker als die Konkurrenz. Die Spannbreite der rekonstruierten Kronenlängenentwicklung reicht von +19 bis -24 Prozentpunkten. Die relative Kronenlänge steigt mit sinkender Konkurrenz. Ein Zwei-Variablen-Modell aus der relativen Kronenlänge am Anfang eines 10jährigen Beobachtungszeitraums und der mittleren Konkurrenz (APA, FU) erklärt 88 bzw. 89 % der Streuung des Endwertes der relativen Kronenlänge. Die maßgeblich beeinflussenden Regressoren sind die Konkurrenzvariablen. Als Faustformel müssen für die Aufrechterhaltung einer konstanten relativen Kronenlänge Fichten im Durchschnitt auf dem Anteil ihres Kronenumfangs von Konkurrenten freigestellt werden, der der gewünschten konstanten relativen Kronenlänge + 5 entspricht. Die mittleren h/d-Werte der Zentralbäume im Beobachtungszeitraum liegen zwischen 49 und 105 (im Mittel 79). Zwischen relativer Kronenlänge und h/d-Wert zeigt sich ein signifikanter Zusammenhang. Die größten und zuwachsstärksten Bäume mit den dementsprechenden Kronen haben die niedrigsten h/d-Werte. Einen weiteren Erklärungsbeitrag liefert das Alter. Jüngere Fichten benötigen für den gleichen h/d-Wert größere relative Kronenlängen als ältere Bäume. Mit einem Zwei-Variablen-Modell aus relati¬ver Kronenlänge und Alter können 65 % der Streuung des mittleren h/d-Wertes erklärt werden. Vor einer generellen Übertragung bedürfen die Ergebnisse der Untersuchung einer weiteren empirischen Absicherung. Trotzdem können Orientierungshilfen für das praktische Management von Fichtenbeständen gegeben werden. Für die Praxis zeichnet sich vor diesem Hintergrund als Kompromiss zwischen Vitalität / Stabilität sowie Holzqualität für Fichten-Z-Bäume eine relative Kronenlänge von 50 bis 60 % als geeignet ab. Zieldurchmesser von 40 bis 60 cm können bei 60 % relativer Kronenlänge (isometrisches Wachstum) ohne Qualitätseinbußen aufgrund zu großer Jahrringbreiten (DIN 4074) bereits in einem Alter von 60 bis 90 Jahren erreicht werden. Die waldbauliche Gesamtstrategie sollte daher darauf abzielen, mit der Durchforstungsphase zu einem (frühen) Zeitpunkt einzusetzen, bei dem sich die relative Kronenlänge noch auf einem Niveau von 50 bis 60 % bewegt und anschließend mit ausreichend starken Eingriffen fließend in die Verjüngungsphase überzuleiten.