Die Fichte (Picea abies) ist die häufigste Baumart im europäischen Gebirgswald und damit von sehr grosser Bedeutung für die Schutzwirkung des Waldes gegen Naturgefahren. Nach Sturmereignissen können in den Folgejahren durch den Befall des Borkenkäfers (Ips typographus) Fichtenwälder grossflächig absterben. In der hochmontanen und subalpinen Stufe wirkt sich dieser Prozess besonders gravierend aus, da dort der Fichtenanteil häufig nahe bei 100% liegt. In diesen Lagen benötigt die natürliche Verjüngung mehrere Jahrzehnte (30-70 Jahre) bis sie wieder schutzwirksam wird. Gehen der Zerfall des Altbestandes und die Zersetzung des Totholzes sehr rasch vor sich, besteht die Gefahr, dass während einer Zeitspanne die Schutzwirkung des Waldes unter ein kritisches Niveau absinkt. Über die Verjüngungszeiträume solcher der natürlichen Sukzession überlassenen Flächen gibt es relativ zuverlässige Daten, über die Abnahme der Schutzwirkung des abgestorbenen Altbestandes ist jedoch nur sehr wenig bekannt. Das Ziel der vorliegenden Studie war es, das Verhalten abgestorbener Bäume bei mechanischer Belastung, wie sie durch die Naturgefahren Lawinen und Schneebewegungen, Steinschlag und Rutschungen verursacht werden, zu analysieren und den Einfluss von holzzersetzenden Pilzen auf die Festigkeit der Stämme zu bestimmen. Die Untersuchungen wurden im Rahmen einer Fallstudie im Gandbergwald bei Schwanden im Kanton Glarus durchgeführt. Nach dem Sturim Vivian (1990) starb dort in den Jahren 1992-97 ein Gebirgsfichtenwald nach Borkenkäferbefall grossflächig (ca. 100 ha) ab. Die Borkenkäferschadenfläche wurde nicht geräumt sondern die abgestorbenen Fichten stehen gelassen. Bereits fünf bis zehn Jahre nach dem Absterben brachen die Fichten in einigen Metern über dem Boden ab. Unterschiedlich lange Stammreste verblieben als stehendes Totholz (Stirzel). Es wurde die mechanische Stabilität von solchen Stirzeln ca. 10 Jahre nach dem Absterben gemessen. Mit Umziehversuchen an ganzen Stirzeln im Gelände wurde eine statische Belastung, wie sie im Winter durch Schneedruck entsteht, simuliert. Auf einer Anprallanlage wurden Stammabschnitte mit einem Fallgewicht durchschlagen und die Bruchschlagarbeit berechnet. Mit dieser Versuchsanordnung konnten dynamische, stossartige Belastungen, welche bei Steinschlag auftreten, simuliert werden. Aus den Bruchflächen der beprobten Stirzel und Stammabschnitte wurden die Fäuleerreger isoliert und identifiziert. Da das Wurzelsystem der Stirzel zur Stabilisierung des Boden gegen Rutschungen beiträgt, wurde die Zugfestigkeit an ausgegrabenen Wurzeln von abgestorbenen Bäumen und von frisch gefällten Fichten ermittelt und miteinander verglichen. Bei den Umziehversuchen versagten drei Viertel der getesteten Stirzel durch Stammbruch und dies bei niedrigeren Biegemomenten als die Stirzel, welche durch Entwurzelung versagten. Im Vergleich zu lebenden Fichten widerstanden die Stirzel, welche sich entwurzelten, einem um 54% und die gebrochenen Stirzel einem um 78% niedrigeren Biegemoment. In allen Stirzeln, die durch Stammbruch versagten, war in der Bruchfläche die Pilzart F. pinicola und eine ausgedehnte Fäulnis vorhanden. Die mittlere Bruchhöhe betrug 1.08 +/- 0.51 m. Bei der Bestimmung der Bruchschlagarbeit zeigten Stammabschnitte aus Totholz, welche bereits durch F. pinicola besiedelt waren, die tiefsten Werte (25.59 +/-7.74 kJ/m2). Bei Stammabschnitten aus Totholz, in welchen der Pilz nicht nachgewiesen werden konnte, wurden mittlere Bruchschlagarbeitswerte von 131.89 +/-34.52 kJ/m2 und bei Stammabschnitten aus frischem Fichtenholz die höchsten Werte von 238.89 +/-40.43 kJ/m2 berechnet. Der Porling Fomitopsis pinicola (Rotrandiger Baumschwamm) war 10 Jahre nach dem Absterben der Fichten am Gandberg durch Borkenkäferbefall der dominante Fäuleerreger in den Stirzeln. Er wurde in 68.7% (n=90) aller Basidiomyzetenisolate aus oberirdischen Totholz nachgewiesen. F. pinicola verursacht in den Stirzeln eine Splint- und Kernholzfäzle, die zu einer entscheidenden Festigkeitsreduktion der Stirzel führt. Potentiell pathogene Pilzarten wie Armillaria spp. (Hallimasch) oder H. annosum (Wurzelschwamm) traten nur selten als Fäuleerreger auf. Eine Beeinträchtigung der nachfolgenden Verjüngung oder der benachbarten, lebenden Bestände durch Pathogene aus dem Totholz ist somit sehr unwahrscheinlich. Wenn die abgestorbenen Bäume schnell (5-10 Jahre) zusammenbrechen und das liegende Totholz quer zum Hang zum Liegen kommt, erhöht sich die Schutzwirkung gegen Lawinen und Steinschlag. Die Stämme und Stirzel halten Steine auf und stützen die Schneedecke ab. Bei steilen Flächen (Hangneigung >70%) ist die Schutzwirkung des Totholzes fraglich. Das Totholz kann mit zunehmender Zersetzung selber in Bewegung geraten und mit der Schneedecke zusammen abrutschen. Wurzeln von vor ca. 10 Jahren abgestorbenen Fichten hatten im Vergleich zu Wurzeln von frisch gefällten, lebenden Fichten eine um 29% reduzierte Zugfestigkeit und konnten 75% weniger Verformungsarbeit aufnehmen. Deshalb nimmt bei erosions- und rutschungsempfindlichen Böden die Gefahr von oberflächenahen Rutschungen nach dem Absterben der Bäume in Folge der zunehmenden Zersetzung des Wurzelholzes zu. Die Übertragbarkeit der in der vorliegenden Arbeit erarbeiteten Schlussfolgerungen auf andere Standorte ist mit zusätzlichen Versuchen auf anderen Standorten und zu unterschiedlichen Zeitpunkten der Zerfallssukzession zu überprüfen. Dafür können die in der vorliegenden Arbeit entwickelten Methoden verwendet werden. Grundsätzlich bieten Flächen mit abgestorbenen Fichten trotz der abnehmenden Festigkeit des Holzes eine Schutzwirkung gegen Naturgefahren. Es kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass an gewissen Standorten und bei ungünstigen Bedingungen die Schutzwirkung des zerfallenden Bestandes nicht ausreicht, bis eine aufkommende Verjüngung genügend Schutzwirkung bieten kann. Die von einer solchen Fläche ausgehende Gefährdung muss fallweise unter Berücksichtigung der möglichen Naturgefahren und der standörtlichen Bedingungen beurteilt werden. Weiter wird in dieser Arbeit empfohlen, ungeräumte Borkenkäferflächen sorgfältig zu beobachten um gegebenenfalls Massnahmen ergreifen zu können.
907.32 (Schutzwald) 181.76 (Tote Bäume (einschl. ökologischer Bedeutung der Pflanzen oder Pflanzenteile nach dem Absterben, z.B. stehende tote Bäume, Baumstumpen, Stöcke, Fallholz; Waldstreu siehe 114.351)) 174.7 (Coniferae [Siehe Anhang D])