Wissen Sie eigentlich, wie schnell sich die Landschaft verändert? Haben Sie einen Einfluss darauf? Allgemein bekannt ist, dass die Bevölkerung die Landschaft prägt und sie nach ihren Bedürfnissen und Wünschen gestaltet. Demnach ist die Landschaft heute das Ergebnis von politischen und wirtschaftlichen Gesetzmässigkeiten sowie Ausdruck Schweizerischer Geschichte und Kultur. Landschaft ist identitätsstiftend, aber damit eine emotionale Ortsbezogenheit entwickelt werden kann, muss Veränderung möglich sein (Brown et al. 2003). Die ungeklärte Frage dabei ist, mit welcher Geschwindigkeit sich eine Landschaft verändern darf/muss, damit die emotionale Ortsbezogenheit bestehen bleibt? Spielt dabei die Mitbestimmung bei den Veränderungen eine Rolle? Die Landschaft ist in der Mensch-Umwelt-Forschung spätestens seit Carls Sauers "Morphology of Landscape" (1925) eine zentrale Studieneinheit. Mit der Kulturellen Wende in den 1980er Jahren flossen sozialwissenschaftliche Theorien in die Landschaftsforschung ein. Cosgrove und Daniels (1988) bezogen die soziokulturellen und politischen Prozesse, die die Landschaft prägen, mit ein und schufen damit eine neue Interpretationskomponente. Die Landschaft wird als "eine Art zu sehen" (Cosgrove 1998) und nicht mehr als Bild oder Objekt definiert. Das heisst, dass die Art und Weise, wie jeder oder jede die Landschaft seiht, ideologisch ist. Diese politischen Aspekte und die Fragen, wie Mitbestimmung die Landschaft determiniert, besitzen im aktuellen Landschaftsdiskurs einen zentralen Stellenwert (Mitchell 2002, 2003, Olwig 2003a, 2003b). Ein weiterer bedeutender Theoriestrang ist die von Tuan (1974) begründete Landschaftswahrnehmung in bezug auf die menschlichen Einflussfaktoren wie die Kultur und das Alter. Wissen, Erfahrung und Erinnerung sind weitere Aspekte, die für die Reproduktion eines kognitiven Bildes der realen Welt bedeutsam sind (Knox und Marston 2001). Um die oben aufgeworfenen Fragen beantworten zu können, müssen wir herausfinden, welche Entwicklungsphasen wahrgenommen werden und wovon die Beurteilung der abgelaufenen Veränderungen abhängt. In meiner Untersuchung der Wahrnehmung und Bewertung von Landschaftsveränderungen wählte ich einen qualitativen Forschungsansatz. Mit Hilfe von problemzentrierten Interviews wurden Personen nach ihren Erinnerungen zur Landschaft ihrer Kindheit und den seither abgelaufenen Veränderungen befragt. Nach einen ersten offenen Interview wurde dann anhand alter Fotografien vertiefter auf die Veränderungen eingegangen. Es wurde auch eine Landschaftsbegehung mit den Interviewten durchgeführt, um erwähnte Aspekte vor Ort zu betrachten. Als Untersuchungsgebiete dienten mir vier Schweizer Gemeinden im Alpen- und Voralpenraum. Ich wählte Wildhaus (SG) und Gonten (AI) als langsam veränderte Gemeinden im Vergleich zu Gossau (SG) und Kriens (LU) als schnell veränderte Gemeinden. Mein Sample setzt sich aus Frauen und Männer unterschiedlicher Generationen zusammen. Ich interviewte einerseits Personen die gemeindepolitische Handlungsträgerinnen und Handlungsträger waren und andere, die nie ein solches Amt innehatten. Um eine Innensicht wie auch eine Aussensicht zu ermitteln, unterschied ich zwischen Personen, die in der Forschungsgemeinde wohnhaft sind und solchen, die aus der Gemeinde wegzogen. Mit Hilfe der "Grounded Theory" (Glaser und Strauss 1998) kodierte ich die Interviews und analysierte sie mit der qualitativen Inhaltsanalyse von Mayring (2000). Die landschaftlichen Veränderungen können anhand ihrer kleinsten Teile, der Landschaftselemente, beschrieben werden. Dabei lassen sich unterschiedliche Kategorien bilden. (1) Es gibt Landschaftselemente, deren Veränderungen in allen vier Forschungsgemeinden gleichermassen wahrgenommmen werden. Sie machen eine Beschreibung der Veränderungen zwischen den Gemeinden vergleichbar. Besonders zentral sind Siedlungselemente, Verkehrswege, agrarisch genutzte Flächen und Wald. (2) Es gibt Landschaftselemente, deren Veränderungen bedeutsam für die einzelnen Gemeinden sind. Hierbei handelt es sich einerseits um Landschaftselemente, die "schon immer da waren". Sie besitzen eine ortsbindende Funktion. Andererseits gibt es neue Landschaftselemente, die evt. anfänglich mit Skepsis beurteilt werden, aber das Potenzial haben, eine symbolische Bedeutung zu erhalten. Die Bevölkerung nimmt unterschiedliche Geschwindigkeiten von Landschaftsveränderungen wahr. Es können schnelle und langsame Landschaftsveränderungen unterschieden werden. Als Beispiele für schnelle Veränderungen wurden der Brand von Gebäuden oder durch Sturm erzeugte Windwurfereignisse am Wald wahrgenommen. Langsame Veränderungen sind die Zunahme von Siedlungen oder die Abnahme von Biodiversität auf landwirtschaftlich genutzten Weiden und Wiesen. In den meisten Fällen kann kein direkter Zusammenhang zwischen der Geschwindigkeit, mit der eine Veränderung abgelaufen ist, und der Bewertung (stört es oder gefällt es?) festgestellt werden. Nur in seltenen Fällen wird die Geschwindigkeit als Grund für die Bewertung herangezogen. Über die Bewertung entscheidet die Wahrnehmung der Funktion und des Nutzens eines Landschaftselements. Es gibt einzelne Elemente, denen ein hoher emotionaler Wert zugesprochen wird, für deren Erhaltung kein finanzieller Aufwand zu gross ist. Doch die rationale Komponente des ökonomischen Nutzens (oder eben des finanziellen Aufwandes) wird bei manchen charakteristischen Elementen in der Bewertung über die emotionale gestellt. Dafür sehe ich zwei Gründe: (1) Die emotionale Ortsbezogenheit ist nichts Fixes. Sie wird dauernd anhand von neuen Elementen, die wiederum mit der Zeit einen emotionalen Wert erhalten, angepasst. An diesem Punkt scheint es mir wichtig, die Balance zwischen rationalem und emotionalem Nutzen, also zwischen Wirtschaftlichkeit und Identifikation zu finden und bei Entscheidungen genau abzuwägen. (2) In diesem Zusammenhang sind die Mitbestimmungsmöglichkeiten der einzelnen Personen, sprich der Bevölkerung, über raumwirksame Veränderungen nicht zu unterschätzen. Neben den politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern haben Personen durch ihr alltägliches Handeln großen Einfluss auf die Landschaft. Häufig werden raumwirksame Entscheide aus einer utilitaristischen Haltung heraus getroffen. Dabei wirkt das ökonomische Denken handlungsleitend. Ich habe festgestellt, dass nicht nur politische Handlungsträgerinnen und Handlungsträger über die Landschaftsveränderungen bestimmen, sondern auch z.B. Landwirte, journalistisch Tätige, Personen aus dem Baugewerbe oder Landbesitzer die Transformation der Landschaft beeinflussen. Sie sind sich dessen oft nicht bewusst. Aus diesen Ergebnissen können wir für die zukünftige Planung der Landschaftsgestaltung festhalten, dass raumplanerische Massnahmen nur teilweise die Veränderungen leiten und bestimmen können. Sie geben einen Rahmen und die Regeln vor, in denen Veränderungen stattfinden können. Innerhalb dieses Rahmens besitzen die einzelnen Individuen einen beachtlichen Spielraum. Das Einflussvermögen in diesem Spielraum kann weitreichend sein und bedeutende Landschaftselemente eines Gemeindegebietes betreffen. Deshalb ist es meines Erachtens wichtig, in Zukunft bei planerischen Massnahmen verstärkt jene Individuen einzubeziehen, die mit ihrem alltäglichen Handeln Landschaftsveränderungen beeinflussen.